«Du schaffst es, Franz!»

Ludwig Hasler. (Bild zvg)

Über das manchmal lebensentscheidende Glück, eine gute Lehrerin zu finden

von Ludwig Hasler*

(6. April 2022) Was braucht es, damit ein Bauernbub an der ETH studiert, in Biochemie doktoriert und erfolgreich ein Medizinalunternehmen führt? Gute Lehrer, sagte Franz Käppeli.

Aufgewachsen als elftes von zwölf Kindern einer armen Bauernfamilie im aargauischen Muri, baute er die «Labor medica AG» auf, eines der führenden medizinischen Laboratorien der Schweiz, wurde ein vermögender Mann und stiftete Millionen für die Renovation des Klosters Muri – mit der bemerkenswerten Begründung:

Er verdanke sein reiches Leben dem Glück, damals als Bub Lehrer gefunden zu haben, die ihn förderten, ihm das Studieren zutrauten, ihm jederzeit zu bedeuten gaben, was er von sich aus unmöglich zustande gebracht hätte: «Du schaffst das, Franz!»

Franz Käppeli ist Ende Januar gestorben. Im glanzvoll renovierten Klostergebäude lebt er weiter. Seine Erinnerung an die Lehrer will ich hier auffrischen.

«Für ein Alter, das noch was vorhat – Mitwirken
an der Zukunft» Verlag Rüffer & Rub, 2019
ISBN 978-3-906304-53-3

Ja, es ist ein Glück, einen guten Lehrer zu finden. Eine gute Lehrerin bringt den Schülern nicht nur allerhand bei, sie öffnet ihnen eine Türe zur Welt, nimmt ihnen die Angst vor der Schule, die Angst überhaupt vor dem Erwachsenwerden, macht ihnen Mut zur Neugier, weckt ihr Selbstvertrauen, bestärkt sie in ihrem Leistungswillen. Der gute Lehrer handelt nach der Einsicht: Bildung ist nicht, was man hineinstopft, Bildung ist, was man herausholt.

Natürlich ist es auch ein Glück, eine gute Lehrerin zu finden, einen guten Manager. Das ist ein Stück weit Zufall. Die Lehrerin ist Schicksal – in einer Lebensphase, in der wir noch unterwegs sind, Kinder, jung, unausgewickelt, unfertig.

Eltern neigen gelegentlich zur Haltung: Das ist mein Kind, es gehört mir. Es gehört aber, wenn schon, sich selbst, und die Schule hat keinen vornehmeren Zweck, als alles zu tun, damit das Kind möglichst täglich ein bisschen mehr sich selbst gehört, stets merklicher ein Selbst wird, eine regelrechte Person, das Subjekt seines Lebens, ein Akteur, der sich wandelt vom Adressaten gesellschaftlicher Bildungsbemühungen zum Autor der eigenen Bildungsbiografie. Die Schule als Treibhaus für Freiheit.

Wachsen müssen die Kinder selber. Anders als bei Pflanzen reicht Gärtnerkunst nicht. Nötig ist der Blick des Lehrers, der dem Kind sagt: Ich sehe dich. Du kannst das.

Schulstrukturen, didaktische Konzepte sind Gold wert – den Ausschlag gibt die Beziehung. Neurologen sprechen von «Resonanz». Das Menschenhirn dümpelt gern vor sich hin, doch sobald es sich wahrgenommen fühlt, sobald es merkt, die Lehrerin interessiert sich für mich, sie mag mich, sie glaubt an mich, kann es in Hochform auflaufen. «Die stärkste Motivationsdroge ist der andere Mensch», das kennt man vom Hirnforscher Joachim Bauer.

Lernen ist alles andere als eine mechanische Tätigkeit. Es kommt dabei weniger auf einzelne Verstandesoperationen an als auf die persönliche Haltung. Man beobachtete Schüler zum Beispiel beim Lösen von Matheaufgaben, untersuchte die Faktoren des Erfolgs – und siehe da: Gegen die verbreitete Ansicht, Mathematik sei eine Domäne von Hirnbestien, stellte sich heraus: Der rein verstandesmässige Anteil am Erfolg ist bescheiden – und ungleich bedeutender, was Lernforscher das «Ich-Konzept» nennen, also das Selbstvertrauen, «He, ich kann das doch», dazu eine Neugier, Lust am Durchblick, etwas Frechheit hilft auch.

So. Und für all das brauchen Schülerinnen mehr als geeignete Lernstoffe und kluge Methoden. Sie brauchen ein höchst persönliches Gegenüber, das sich ihnen zuwendet, ihnen etwas zutraut, herauslockt. Das gilt noch für uns Erwachsene, auch wir kommen erst in Form, wo wir uns wahrgenommen sehen, herausgefordert und anerkannt. Nur – in der Schule kann es das ganze Leben entscheiden.

Franz hat es geschafft.

* Ludwig Hasler ist Philosoph, Publizist und Buchautor. Er ist Mitglied des Publizistischen Ausschuss der CH-Media.

Quelle: St. Galler Tagblatt, 15. Februar 2022
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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