Wo ist der Investigativ-Journalismus geblieben?

Journalisten während der Corona-Pandemie

von Sonja L. Bauer, Redaktionsleitung «Berner Landbote»*

(3. Mai 2024) (CH-S) Im folgenden Vortrag analysiert die Journalistin Sonja Laurèle Bauer die Rolle der Medien, insbesondere der Redakteure während der Corona-Pandemie. Sie hat dieses leicht gekürzte Referat in Bern am Symposium «Corona – Fakes & Fakten» am 6./7. April 2024 gehalten. Welche Ansprüche kann man an guten Journalismus stellen und woran hat es während der Pandemie gefehlt?

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[…] «Es gehört zum Job der Medienschaffenden» – um es mit den Worten eines Chefredakteurs einer Berner Zeitung auszudrücken – «... auch unzugängliche Regierungszimmer und verschlossene Amtsbüros auszuleuchten.» Ja, er hat recht. Unbedingt! «Eine funktionierende Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass öffentlich wird, was ans Licht gehört.» Umso weniger kann ich mir erklären, warum dies gerade in einer Zeit, wie der Coronazeit, und auch gerade in «seiner» Zeitung, wie auch zu einem grossen Teil im Schweizer Fernsehen und in anderen Medien bis heute nicht geschah.

Rolle der Vierten Gewalt

Ich war und bin ohnmächtig und ratlos. Mir geht es nicht darum, meine Kolleginnen und Kollegen an den Pranger zu stellen. Dazu habe ich kein Recht. Aber zu fragen: Ist denn nicht gerade die Vierte Gewalt im Land dafür da, Politik und Gesellschaft auf den Zahn zu fühlen? Die Wahrheit zu suchen? Zu fragen? Zu hinterfragen? Skeptisch zu sein? Den Zweifel auszuhalten? Schriftsteller Emil Zola sagte es so: «Zu Sprechen ist meine Pflicht. Ich will nicht Komplize sein.»

In einem seiner Referate während der Coronazeit sagte der Philosoph Gunnar Kaiser: Was hätte Platon gesagt? Er hätte gefragt. Er hätte so lange weitergefragt, bis sein Gegenüber hätte sagen müssen: «ich weiss es nicht.»

Huxley und Orwell würden sich im Grabe umdrehen, wüssten sie, was geschah. Wo sind die Intellektuellen? Sie würden sich fragen: Wofür haben wir all unsere Bücher geschrieben ...

Ich selbst fragte: Wo ist der Investigativ-Journalismus geblieben, als es um Corona, die Massnahmen und das Impfen ging? Sind manche der Kolleginnen und Kollegen zu bequem geworden, zu leichtgläubig oder einfach zu desinteressiert?

Denken wir an Niklas Meienberg, den unbequemen Historiker und Journalisten, der 1940 geboren wurde und 1993 starb. Er veröffentlichte Reportagen und Texte zur Zeitgeschichte. Schonungslos und bissig. Diese haben massgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung der Schweiz im 20. Jahrhundert beigetragen. Wo ist dieser Mut hin?

«Geld fürs Zahm-Sein?»

Dieser Gleichmut auch, unbeliebt zu sein, wenn dies der Wahrheitsfindung dient? Ich frage mich noch heute: Bekamen manche Journalisten Geld fürs Zahm-Sein? Fürs Schweigen? Darf sich keine Journalistin in die Hand verbeissen, die sie füttert? Ging es darum? Manchmal kann es der Sache dienen, ein bisschen länger am Knochen zu nagen, ein bisschen tiefer zu graben.

Ich wurde als mutig bezeichnet, weil ich seit Beginn der Massnahmen gegen das Wegsperren alter Menschen anschrieb, gegen die Isolation Jugendlicher, das tausend-fache und krankmachende Nasentesten – bei mir war es an die 50-Mal. Ich wusste jedenfalls, dass ich gesund war, im Gegensatz zu meinen geimpften und in der Gegend herum niesenden Interviewpartnern – den Impfzwang, wo man längst wusste, dass man sich auch trotz Impfung ansteckt.

Gemeinsam am Tisch ohne Maske – allein auf der Strasse mit Maske

Rückblick, Corona vor vier Jahren: Ich erinnere mich an ein Essen in einem Schloss, in dem niemand war, ausser unserer Gruppe, kurz vor dem Lockdown. Während des Essens am Tisch bestand keine Maskenpflicht (wohlverstanden war man sich nirgends sonst so nah), wollte jemand auf die Toilette aber schon. Also zogen die Kollegen, sobald sie aufstanden, die Maske auf, durchquerten den menschleeren Saal, um sich nach dem Besuch des Klos am schmalen Tisch weiter gegenseitig anzuhauchen.

Dieser Akt, wie zig andere auch, war dermassen absurd, dass ich staunte, dass niemand ihn hinterfragte. «Es gibt kein Recht auf Gehorsam», sagte Publizistin Hannah Arendt.

Fragen Sie nicht auch, wie es möglich ist, dass Menschen selbst dann gehorchen, wenn dies offensichtlich keinen Sinn ergibt? Dies nicht erst seit Kurzem, sondern durch die gesamte Weltgeschichte hindurch. In den Geschichtsbüchern steht dann nicht wie es wirklich war, sondern, wie die Dinge von jenen, die die Deutungshoheit hatten, dargestellt wurden.

«Bestrafe Einen, erziehe Hundert»

Aber warum gehorchten selbst die Journalisten? Warum hetzten sie gegen Andersdenkende, machten sie zu Spinnern? Medien können eine Person glorifizieren – und töten. Sie müssen sowas wie Macht gespürt haben. Anders kann ich es mir nicht erklären. Man schrieb quasi vom Hörensagen. Das kann nicht sein. «Bestrafe einen, erziehe Hundert», las ich kürzlich in Bezug auf das Buch «Demokratie im Treibsand».

Wie viele Menschen liessen sich impfen, obwohl sie das gar nicht wollten, weil sie sich dem Druck beugten. Weil sie nicht die Kraft hatten, zu widerstehen.

Weil viele geimpft waren, verstehen sie bis heute nicht, wie schwer für die Zeit für jene war, die sich nicht gegen Corona «impfen» liessen: Sie hatten keinen Zugang zu den Restaurants, den Konzerten, usw. wurden ausgeschlossen und nicht selten angefeindet. Ihr Vergehen: Sie widerstanden ...

Bis heute wurde die Coronazeit nicht aufgearbeitet. Weder politisch, noch medial. Das «Framing» geht weiter. Differenzierte Meinungen – sich sowohl die eine, als auch die andere Seite anzuhören und darüber nachzudenken; sich in andere Denkweisen hineinzuversetzen – gibt es kaum noch.

Manche Journalisten und Politikerinnen polemisieren weiter, wie kürzlich wieder in der «Berner Zeitung» geschehen, in der Vorschau auf den heutigen Anlass. Da wurden die verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen Haltungen in drei Worte gedrückt: «Links-abtrünnig», «rechtsextrem» und «Abtreibungsgegner» ...

Gesellschaft gespalten

Obwohl gerade Journalistinnen und Journalisten wissen müssten, dass die Welt zu komplex ist, als dass es für schwierige Probleme stets einfache Lösungen gibt. So wird die Gesellschaft gespalten. Der Diskurs-Abbruch führt zu unbefriedigenden politischen Entscheidungen, weil im Vorfeld das Feuer der Kritik gemieden und die Gelegenheit der Reifung verpasst wurden.

Deshalb plädiere ich auf das Zugeben von Fehlern; für mehr Bewusstsein und weniger Polarisierung. Auf beiden Seiten. Verbindend, nicht trennend. Respektvoll und sachlich: Am Rückgrat eines Landes klettern die zarten Pflanzen der Vernunft.

Wenige Journalisten recherchierten

Die wenigen Journalisten, die während der Coronazeit, zum Beispiel in Bezug auf die Impf-Problematik, ausführlicher recherchierten und ihre Zweifel kundtaten, wurden von ihren Berufskolleginnen und -kollegen, ohne dass diese nur einen Augenblick gezweifelt hätten, in die Schublade der «Verschwörungstheoretiker» und «Rechtsextremen» geworfen.

Genauso wie die medizinischen Fachkräfte, manche davon Koryphäen ihres Fachs. Sie wurden denunziert. Warum taten manche Journalisten das? Weil sie sich in der Gruppe sicherer fühlten, in der Menge unsichtbarer wurden, wie Fische im Schwarm?

Oder im Gegenteil: Weil sie sich profilieren wollten, in der arroganten Abwertung Andersdenkender?

Was mich persönlich wirklich erst fassungslos, dann ohnmächtig machte: Wie viele Medien fachsimpelten über Verschwörungstheorien, ohne den Inhalt einer Meinung zu überprüfen? Selbstherrlich wurden Gruppen von Menschen, obwohl sie wissenschaftlich oder politisch völlig unterschiedlicher Meinung waren, kurzerhand in ein und dieselbe Schublade gedrückt, weil jene der «Verschwörungstheoretiker» gerade offenstand. Da trauten sich bekannte Künstlerinnen und Künstler nicht mehr, ihre Haltung zu vertreten, weil sie sonst in der Öffentlichkeit diffamiert wurden. Da wurden Wissenschaftlerinnen und Ärzte denunziert, weil sie es wagten, Dinge zu sagen, die manchen nicht ins Konzept passen.

Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht!

Damit eine Demokratie überhaupt möglich ist, ist der gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Diskurs unabdingbar. Ist er nicht mehr möglich, stirbt die Demokratie!

Noch einmal: Zweifeln und Prüfen ist Auftrag unserer Zunft. Und, ganz nebenbei: Die Kritik- und die Interpretationsfähigkeit unterscheiden die menschliche von der künstlichen Intelligenz. Noch. Was für die Zukunft nicht unwesentlich ist.

Sich mit dem Zweifel und der eigenen Angst auseinanderzusetzen, braucht Zeit. Wie viel sind wir bereit, dafür zu investieren?

Das vorhin zitierte Postulat des Chefredakteurs wurde von vielen Journalisten nicht erfüllt. Es galt, eifrig und politisch korrekt zu schreiben, zu gefallen, nicht zu hinterfragen. Es galt uniform zu sein – das aber ist gefährlich ...

Dies machte mich als erfahrene Journalistin wütend. Ich hoffe, dass Reflexion und Berufs-Verantwortung dazu beitragen, zurück zum beruflichen Auftrag zu finden, selbst wenn es unbequem wird. Die sichere Seite, ist nicht immer die richtige ...

Genauso wie Long-Covid sind Impfschäden nach wie vor kaum ein Thema. Allein beim «Berner Landboten» meldeten sich zig Betroffene. Heute noch. Wir weinen über die Weltgeschichte – doch wir schrieben vor zwei Jahren alle gemeinsam daran. Staatlichen Vorgaben kritisch gegenüber zu stehen, kann kein Verbrechen sein.

Schlechtes Gewissen als Manipulation

Singen zum Beispiel, wurde verboten, in den Kirchen, sogar in den Kitas. Was machte das mit den Kindern? Kann es sein, dass die Coronazeit wesentlich dazu beitrug, dass es den Jugendlichen heute so schlecht geht?! War Corona der Auftakt, dass die Psychiatrien überfüllt sind?

Mein damals 14-jähriger Sohn log in der Schule, weil er sich nicht traute zu sagen, dass er nicht geimpft sei. Er entschied selbst, dies nicht zu tun. Weil wir darüber sprachen, weil wir uns mit dem Thema auseinandersetzten. Weil ich ihn ermunterte, nicht seine Freiheit gegen Angst einzutauschen. Und ihn bat, nicht zu glauben, wenn man ihm einreden wollte, schuld daran zu sein, wenn andere starben ...

Notabene: Das Vermitteln eines schlechten Gewissens ist einer der zehn Punkte der Manipulation, nach Noam Chomsky.

Ich besuchte beruflich alte Menschen im Altersheim, eine alte Frau bat mich, in vier Metern Abstand, doch bitte, bitte die Maske runterzuziehen, damit sie ein Gesicht sehen könne, bevor sie sterbe – sie starb einsam, allerdings nicht an Corona.

mRNA-Injektion, ohne die Eltern zu fragen

Kinder sollten kurzfristig auf dem Pausenplatz entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollten – mit 12 Jahren, trotz des Gruppendrucks, von dem wir alle wissen. Manipulation war Absicht, wurde eingesetzt. Meines Wissens müssen die meisten Kinder unter 18 ihre Eltern fragen, wenn sie sich ein Tattoo stechen lassen wollen – sich eine mRNA-Injektion verpassen zu lassen, ging ohne Erlaubnis.

Warum liessen sich meine Kolleginnen und Kollegen davon nicht berühren? Nicht einmal dann, als längst klar war, dass auch Geimpfte an Corona erkrankten und die Impfung manche krank machte? Nahm man diese Menschen nicht ernst? Setzte man sich über sie hinweg. Welch Anmassung.

Wie oft stand nach der Coronazeit in den Medien, man habe erst aus Fehlern lernen müssen. Nein! Manche Fehler muss man nicht erst machen! Weil man gewisse Dinge vorher weiss.

Hätten mehr Medienschaffende hingeschaut, vieles wäre nicht passiert. Jeder mit gesundem Menschenverstand wusste, dass Menschen nicht nur an Corona sterben können, sondern auch an Isolation, Einsamkeit, Angst, Stress. Es gab häusliche Gewalt, Selbstmorde, Jobverluste, Verzweiflung. Alles wurde in Kauf genommen – auch von den Medienschaffenden. Wie hart die Gesellschaft wurde, wie berührungs-los ... wurden Menschen zerbrochen ...

«Berner Landbote» – unabhängige Berichte zu Corona

Der Bericht von Daniel Beutler am 30. Juni 2021, die Coronaimpfung könne schaden (wohlverstanden im Konjunktiv geschrieben), war der Auftakt einer Berichterstattungsserie in unserer Zeitung.

Ich bin dankbar dafür, dass der «Berner Landbote» immer eine wirklich unabhängige Zeitung war, in der auch kritische Ansichten in Bezug auf Massnahmen und Impfung Platz fanden.

Mit dem Vorschlaghammer der Propagandasprache wird nach wie vor Bestätigung erhascht, Selbst-Reflexion verhindert. Obwohl wir in einem christlichen Wertesystem leben, wurde es während der Coronazeit nicht praktiziert.

Ich danke Daniel Beutler für die Einladung, für seine sehr ehrliche, sachliche, kluge, tiefgreifende Berichterstattung in unserer Zeitung.

Ja, heute scheinen sich die meisten kaum noch für Hintergründe zu interessieren. Es bleibt beim Konsumieren von Kurzinformationen. Diese haben mit Wissen oft wenig zu tun. Der investigative Journalismus ist zum Luxusgut der sich nach Wissen statt nach Konsumation sehnenden Minderheit geworden, die sich nicht scheut, die einlullende Sicherheit des Gruppendenkens und der Filterblasen zu verlassen.

Suchen wir den Diskurs

Die Wissenschaft gibt es nicht. Wissenschaft ist immer Diskurs. «Wir wissen es nicht», dieses Eingeständnis ist eine Errungenschaft. Eine Gesellschaft, die in Krisen nur laut schreit, gleichzeitig aber die Gefühle, die daraus entstehen – Wut, Ohnmacht, Angst –, ignoriert, darf sich nicht wundern, wenn die Welt taub wird. Ungehörte Individuen sterben. Für ein Problem gibt es mehrere Wege zur Lösung: durch die Bereitschaft, komplex zu denken, nicht durch blossen Gehorsam oder Angst.

Diversität und Pluralismus müssen geschätzt werden: Meinungsgegner sind keine Feinde. Schliessen wir die Schubladen. Hören wir einander zu. Lernen wir voneinander. Bleiben wir selbstbestimmt.

Suchen wir den Diskurs. Debatten können laut sein, aber sie sind auch lebendig. Dies muss eine Gesellschaft aushalten. Zitat: «Wenn es in einem Staate kein Lärm von Konflikten gibt, dann kann man sich sicher sein, dass dort keine Freiheit herrscht.» Wer dies sagte, ist mir leider nicht bekannt.

Mit Antonio Gramsci: «Wir brauchen den Pessimismus des Verstands und den Optimismus des Willens.» Mit Martin Heidegger: «Die grösste Gefahr, jene, sich selbst zu verlieren, kann in der Welt so geräuschlos sein, als wäre es gar nichts.»

Prüfen wir, was wir denken. Schreiben wir Medienschaffenden, was wir geprüft haben. Bleiben wir mutig, empathisch, differenziert – und frei.

Bis zum Wissen säumen Zweifel und Unwissenheit den Weg. Ich ende mit dem Leitspruch der Aufklärung: Wage zu wissen. Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. […]

* Sonja Laurèle Bauer wuchs in Bern auf und lebt heute im Berner Oberland. Zehn Jahre lebte sie in Baden-Baden, Deutschland, wo sie beim Südwestrundfunk Fernsehen tätig war. Sie ist ausgebildete Journalistin BR und arbeitete sowohl als Fernseh-, Radio-, als auch Print-Journalistin. Heute ist sie Redaktionsleiterin beim «Berner Landboten». In den vergangenen Jahren erschienen im «Anzeiger Region Bern» ihre Essays namens «Gedankensprung». In den vergangenen 25 Jahren schrieb sie zahlreiche Reportagen, Porträts und Rezensionen für diverse deutschsprachige Printmedien, darunter die «Berner Zeitung» und der «Bund». Im September 2024 erscheint ihr neues Buch «Schattenspiel im Sternenlicht» im Lokwort-Verlag. Ihre Homepage ist www.geschichtenatelier.ch.

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