Die Zelenski-Manie und das ruinierte Image der Schweiz

Guy Mettan (Bild zvg)

Vorder- und Hintergründe des Kriegs in der Ukraine

von Guy Mettan,* Genf

(10. April 2022) Während die Verhandlungen voranzuschreiten scheinen und sich die ersten Konturen einer möglichen Lösung in der Ukraine abzeichnen (Neutralität und teilweise Entmilitarisierung des Landes, Übergabe des Donbass und der Krim), beginnt man die Hintergründe des Konflikts besser zu verstehen. Ein schneller Waffenstillstand ist jedoch nicht zu erwarten: Die Amerikaner und die Ukrainer haben noch nicht genug verloren und die Russen noch nicht genug gewonnen, um die Feindseligkeiten einzustellen.

ISBN 978-0-997-89652-7

Bevor ich jedoch mit meinen Überlegungen weiterfahre, möchte ich diejenigen, die meine realistische Sicht der internationalen Beziehungen nicht teilen, bitten, diesen Text beiseite zu legen. Das, was jetzt kommt, wird ihnen nicht gefallen, und sie ersparen sich damit Sodbrennen und die Zeit, die sie damit verschwenden würden, mich zu verunglimpfen.

Ich bin der Meinung, dass Moral in der Geopolitik ein sehr schlechter Ratgeber ist, aber in menschlichen Angelegenheiten ist sie angebracht: Der kompromissloseste Realismus hindert uns nicht daran, Zeit und Geld zu investieren, wie ich es tue, um das Schicksal der von den Kämpfen betroffenen Bevölkerung zu lindern.

Die Analysen der qualifiziertesten Experten (ich denke da vor allem an die Amerikaner John Mearsheimer und Noam Chomsky), die Untersuchungen von Enthüllungsjournalisten wie Glenn Greenwald und Max Blumenthal und die von den Russen beschlagnahmten Dokumente – z. B. der abgefangene Kommunikationsverkehr der ukrainischen Armee vom 22. Januar und die Angriffspläne, die auf einem von einem britischen Offizier zurückgelassenen Computer sichergestellt wurden – zeigen, dass dieser Krieg sowohl unvermeidlich als auch sehr improvisiert war.

Ein unvermeidlicher und improvisierter Krieg

Unvermeidlich, weil seit Zelenskis Erklärung, die Krim im April 2021 gewaltsam zurückerobern zu wollen, Ukrainer und Amerikaner beschlossen hatten, den Krieg spätestens Anfang dieses Jahres auszulösen.

Die Konzentration ukrainischer Truppen im Donbass seit letztem Sommer, die massiven Waffenlieferungen der Nato in den letzten Monaten, die beschleunigte Kampfausbildung der Asow-Regimenter und der Armee, die intensive Beschiessung von Donezk und Lugansk durch die Ukrainer ab dem 16. Februar (all dies wurde von den westlichen Medien natürlich ignoriert), belegen, dass Kiew für das Ende dieses Winters eine gross angelegte Militäroperation geplant hatte.

ISBN 978-2-940-52318-4

Ziel war es, die von Kroatien im August 1995 gegen die serbische Krajina ausgelöste «Operation Sturm» zu wiederholen und den Donbass in einer Blitzoffensive einzunehmen, ohne den Russen Zeit zum Reagieren zu lassen, um so die Kontrolle über das gesamte ukrainische Territorium zu erlangen und einen raschen Beitritt des Landes zur Nato und zur EU zu ermöglichen. Das erklärt übrigens auch, warum die USA seit dem Herbst immer wieder einen russischen Angriff angekündigt haben: Sie wussten, dass es auf die eine oder andere Weise zu einem Krieg kommen würde.

Improvisiert deshalb, weil die russische Reaktion unter Zeitdruck erfolgte. Als die Russen realisierten, dass die diplomatischen Schachzüge der Nato – keine Antwort der USA auf ihre Vorschläge, Blinken-Lawrow-Treffen in Genf im Januar, Zelenskis Aufruf zur Ruhe und Macron-Scholz-Vermittlung im Februar – keine Klärung der Situation bewirkten und einer klassischen Hinhaltetaktik entsprachen, haben die Russen auf meisterhafte und zugleich sehr riskante Weise reagiert. Sie haben sich innerhalb von zehn Tagen (Anerkennung der Republiken, Kooperationsabkommen und Beginn der Militäroperation) entschieden, als Erste anzugreifen, um den Ukrainern zuvorzukommen.

Und anstatt die gut ausgerüsteten und stark befestigten ukrainischen Armeestreitkräfte frontal anzugreifen, wurde beschlossen, diese mit einem gross angelegten Einkreisungs-/Diversionsmanöver zu umgehen. Mit dem Einmarsch wurden drei Fronten gleichzeitig eröffnet – im Norden, in der Mitte und im Süden –, um in den ersten Stunden die ukrainische Luftwaffe und möglichst viel Ausrüstung zu zerstören und den ukrainischen Gegenschlag zu desorganisieren.

Hätten sie die Ukraine zuerst angreifen lassen, wäre ihre Lage kritisch geworden und sie wären entweder besiegt oder zu einem endlosen Zermürbungskrieg im Donbass verurteilt worden. Es sei daran erinnert, dass die russische Truppenstärke lächerlich gering ist: 150 000 Mann stehen 300 000 Ukrainern einschliesslich der Nationalgarde gegenüber.

In Anbetracht der Umstände und trotz der anfänglichen Pannen und Verluste war die russische Operation ein Erfolg und wird in die Militärgeschichte eingehen, wenn auch natürlich nicht als menschliches Vorbild.

Nachdem diese erste Phase abgeschlossen ist, können sich die Russen nun auf ihr Hauptziel konzentrieren, nämlich die von den neonazistischen Asow-Regimentern gehaltenen «Taschen» von Charkiw und Mariupol zu liquidieren und den Kessel von Kramatorsk, in dem der Grossteil der ukrainischen Armee verschanzt ist, zu reduzieren.

Soweit die militärische Komponente.

ISBN 978-1-949-76240-2

Gewinner und Verlierer

Betrachten wir nun die politische Situation. Wer sind die wahren Gewinner und Verlierer dieses Krieges? Ich sehe einen hauptsächlichen Gewinner, kleinere Gewinner und viele Verlierer.

Der grösste Gewinner sind zweifellos die USA. Man muss anerkennen, dass das Biden-Team trotz der Senilität seines Präsidenten meisterhaft manövriert hat. Indem es sich im August letzten Jahres aus Afghanistan zurückzog, hat es sich in den Augen der Öffentlichkeit reingewaschen und verhindert, dass man ihm die Schuld an der katastrophalen Invasion und Besetzung dieses armen Landes in die Schuhe schiebt.

Indem sie ein Drehbuch entwarfen, in dem der geborene Schauspieler Zelenski brillieren kann, erscheinen sie in der westlichen Öffentlichkeit als tapfere weisse Ritter, obwohl sie die grossen Drahtzieher im Hintergrund sind. Die USA haben die Reihen in der Nato geschlossen und die Europäer zu nützlichen Idioten gemacht, die bereitwillig «die vom abscheulichen Schlächter-Diktator Putin bedrohten Demokratien» verteidigen. Dabei werden sie von den USA gezwungen, deren Schiefergas zu kaufen, während die deutsche Linke und die Grünen sich beeilen, 100 Milliarden Euro Militärkredite zu mobilisieren, um amerikanische F-35-Jagdbomber zu kaufen. Bingo! Der einzige Wermutstropfen dabei: Der Plan ist nicht nach Wunsch abgelaufen. Die Russen gingen nicht in die Falle. Die Ukraine wird zerstückelt, neutralisiert und wird nicht wie erhofft in die Nato aufgenommen werden können.

Weitere Gewinner sind China, Indien und die Länder des Südens, die mit Genuss beobachten, wie sich der Westen, insbesondere die Europäer, untereinander zerfleischen und für lange Zeit schwächen. Auf unverhoffte Weise finden sie die bequeme Position der Neutralität oder Blockfreiheit wieder. Die Chinesen hätten eine gütliche Einigung vorgezogen, aber sie hatten keine Wahl: Sie wissen, dass sie, wenn sie Russland fallen lassen, die Nächsten auf der Liste sind, wie die Flut von Sinophobie zeigt, die der Westen unter dem Vorwand, die Rechte der Uiguren zu verteidigen, ausgiesst (während die Rechte der Jemeniten, die seit sechs Jahren gnadenlos bombardiert werden, dem Westen völlig gleichgültig sind).

ISBN 978-2-940-62814-8

Der grosse Verlierer wird natürlich die Ukraine sein, die unnötigerweise verstümmelt, zerstückelt, verwüstet und massakriert wird, da sie nun viel mehr verliert als das, was sie bei einer Umsetzung des Minsker Abkommens verloren hätte. Präsident Zelenski wird in der Geschichte die schwere Verantwortung dafür tragen müssen, da er den Ruin seines Landes einem rechtzeitigen Kompromiss vorgezogen hat.

Die anderen grossen Verlierer sind die Europäer. In der unmittelbaren Zukunft können sie zwar mit ihrer wiedergefundenen Einheit, ihrer beschleunigten Wiederbewaffnung, ihrem starken Willen, Demokratie und Freiheit bis zum letzten Ukrainer zu verteidigen, ihrer Grosszügigkeit gegenüber Flüchtlingen, ihrer künftigen Unabhängigkeit von Russland im Energiebereich usw. prahlen.

All das ist in der Tat richtig und wahr. Aber in Zukunft wird der Preis, den sie dafür zahlen werden, extrem hoch sein. Ihr Verhalten zeigt, dass sie gegenüber den Amerikanern absolut nichts mehr zu sagen haben – sie sind reine Vasallen. Ursula von der Leyens Entscheidung von letzter Woche, die persönlichen Daten der EU-Bürger an die Amerikaner weiterzugeben, zeigt das Ausmass der europäischen Unterwerfung.

Dasselbe gilt für die Wirtschaft: Welchen Sinn macht es, sich aus der russischen Energieabhängigkeit zu befreien, um in die der Amerikaner mit vier- oder fünfmal höheren Gaspreisen zu fallen? Was wird die deutsche Industrie sagen, wenn sie die Rechnung bezahlen muss? Zumal es in Europa weder LNG-Tanker, noch Häfen, Gasentflüssigungsanlagen oder Pipelines in ausreichender Zahl gibt. Wie soll das amerikanische Schiefergas an die Slowaken, Rumänen und Ungarn geliefert werden? Auf dem Rücken von Eseln?

Was werden die deutschen Grünen sagen, wenn sie den Bau neuer Atomkraftwerke akzeptieren müssen, um die Stromnachfrage zu befriedigen? Die Jugend und die europäischen Umweltschützer, wenn sie feststellen, dass sie über den Tisch gezogen wurden und der Kampf gegen die globale Erwärmung im Namen schmutziger geopolitischer Interessen geopfert wurde? Die Franzosen, wenn sie sehen, dass ihr Land nicht nur weltweit, sondern auch auf europäischer Ebene deklassiert wird, nachdem sie der Wiederbewaffnung Deutschlands und dem massiven Kauf amerikanischer Waffen durch Polen, Balten, Skandinavier, Italiener und Deutsche beigewohnt haben? Die öffentliche Meinung in Europa, wenn sie Millionen ukrainischer Flüchtlinge unterhalten muss, nachdem sie ihnen kostenlose Zugabonnements angeboten hat?

Und was wird Europa gewinnen, wenn es sich durch tiefen Hass und einen neuen Eisernen Vorhang, der sich lediglich ein wenig weiter nach Osten verschoben hat als der des Kalten Krieges, in zwei Teile gespalten findet? Und was wird sie tun, wenn sie feststellt, dass sie Russland nicht isoliert hat, sondern selber vom Rest der Welt abgeschnitten ist? Wenn man sich die Abstimmung über die UN-Resolutionen genau ansieht, stellt man fest, dass die rund 40 Länder, die sich der Stimme enthalten oder nicht an der Abstimmung teilgenommen haben, eine Mehrheit der Weltbevölkerung und 40% der weltweiten Wirtschaft repräsentieren.

Die Unterstützung für Russland ist keineswegs geschmolzen, sondern hat sich zwischen der Abstimmung vom 2. März und der Abstimmung vom 25. März sogar verbessert. Was die Länder betrifft, die sich geweigert haben, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, so ist festzustellen, dass sich eine überwältigende Mehrheit der Stimme enthalten hat und nur die westlichen Länder diese angenommen haben ...

Das ruinierte Image der Schweiz

Ein weiterer grosser Verlierer ist die Schweiz. Die offizielle Schweiz rühmt sich, den von den USA und der Europäischen Union geforderten Sanktionen mit historischer Schnelligkeit gefolgt zu sein. Die ganz Eiligen fordern bereits einen schnellen Beitritt zu EU und Nato. Sehr gut.

Aber nachdem der Bundesrat in den Fällen der jüdischen Gelder und des Bankkundengeheimnisses nachgegeben hat, ist dies das dritte Mal in zwanzig Jahren, dass unsere Regierung sich dem amerikanischen Diktat unterwirft: Was bleibt da noch von unserem Recht und unserer Souveränität?

Noch schlimmer ist, dass wir mit der Aufgabe unserer Neutralität auf offenem Feld kapituliert haben, da niemand dies von uns verlangt hat. Nachdem wir zwei Jahrhunderte lang standhaft geblieben sind, unterwerfen wir uns nun kampflos in weniger als fünf Tagen!

Diese Abkehr ist nicht nur für die Identität des Landes, sondern auch für seine Glaubwürdigkeit schwerwiegend. Dass sich Bundesräte auf dem Bundesplatz vor Zelenski verbeugen und Schals in den ukrainischen Farben tragen, geht noch durch. Das ist politische Folklore. Aber die Aufopferung der Neutralität schadet dem Land schwer, denn durch die Anlehnung an den Westen haben wir unseren Kredit beim Rest der Welt verspielt.

Was ist von der Zuverlässigkeit unserer Banken zu halten, wenn sie auf blosse amerikanische Anordnung hin Konten sperren? Was wird aus dem internationalen Genf und unserer Aussenpolitik, die mittlerweile von Russland und wahrscheinlich vielen anderen Ländern boykottiert wird, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, sie selbst zu artikulieren, ohne uns auf Brüssel und Washington zu berufen? Wie kann Genf behaupten, die Hauptstadt des Multilateralismus zu bleiben, wenn das CERN und die ILO [Internationale Arbeitsorganisation] die Teilnahme Russlands aussetzen und die Schweiz im Windschatten der EU-Länder Lawrows Reden im Menschenrechtsrat boykottiert?

Diese Abkehr signalisiert den Schiffbruch des inklusiven Multilateralismus, den die Schweiz und Genf zu verteidigen vorgaben, und erweist sich als gravierend für unsere humanitäre Politik und die Genfer Konventionen, wie die alarmierende Mitteilung des IKRK vom Dienstag, dem 29. März, belegt.

Indem wir uns bedingungslos hinter die Ukraine und Europa stellen, bringen wir die Neutralität und Unparteilichkeit des IKRK in Gefahr. Beides ist in den Augen der Welt untrennbar miteinander verbunden. Und deshalb musste das IKRK energisch auf die ukrainischen Versuche reagieren, seine Arbeit zu sabotieren, als es beschuldigt wurde, mit den Russen Geschäfte zu machen, obwohl die Neutralität das Herzstück seiner Mission ist.

Wie kann man einer Institution vertrauen, deren Gastland den Geist und sogar den Buchstaben der Neutralität, die doch in seiner Verfassung verankert ist, verraten hat, um westlichen politischen Führern und einer durch antirussische Propaganda aufgeheizten öffentlichen Meinung zu gefallen?

Das Schweigen der Genfer Behörden und der politischen Parteien wird teuer zu stehen kommen, zumal sich die Schweiz lächerlich macht, wenn sie die Initiative für die Guten Dienste Ländern wie Israel, der Türkei oder Weissrussland überlässt!

Bleibt schliesslich noch Russland. Gewinner oder Verlierer? Eigentlich beides. Auf der einen Seite wird Russland wahrscheinlich militärisch und strategisch gewinnen. Am Ende der Kämpfe könnte Russland die Neutralisierung der Ukraine, ihre teilweise Entmilitarisierung (keine ausländischen Militärbasen und Atomwaffen) sowie eine mögliche Teilung des Landes erreichen.

Russland wird die Fanatiker der amerikanischen Hegemonie, die in den Büros in Washington und Brüssel herumspuken, völlig geschockt zurücklassen. Es wird bewiesen haben, dass bei seiner Sicherheit und derjenigen seiner Verbündeten keine Kompromisse eingegangen werden. Und Russland wird der Welt gezeigt haben, dass es tut, was es sagt, und sagt, was es tut, da es seine roten Linien drei Monate vor dem Konflikt deutlich gemacht hatte. Und das, ohne dass ihre Wirtschaft und ihre Währung ins Wanken geraten, wie der Westen gehofft hatte.

Entgegen der Meinungen der westlichen Länder werden Wirtschaftssanktionen, so hart sie auch sein mögen, Putin nur stärken, wie die jüngsten Umfragen des neutralen Lewada-Instituts zeigen, die die Unterstützung einer grossen Mehrheit der Bevölkerung für die «Sonderoperation» bestätigen. Noch nie ist es einer Sanktion gelungen, eine Regierung zu stürzen, weder in Kuba, noch im Iran oder in Nordkorea.

Aber Moskau wird das Stigma des Kriegstreibers, des Aggressors tragen müssen, auch wenn rechtlich gesehen seine Anliegen nicht weniger schlimm sind als die Invasion des Irak 2003 und die Nato-Aggression gegen Serbien 1999 mit der anschliessenden Abtrennung des Kosovo einige Jahre später. Der menschliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Preis, der dafür zu zahlen ist, wird hoch sein. Die durch den Konflikt entstandenen Spannungen werden nicht wie von Zauberhand verschwinden und die Russen werden noch lange mit den Folgen dieses Krieges zu kämpfen haben.

Ab Ende April 2022 auf französisch im
Buchhandel.
ISBN 978-2-940-70119-3

Neuerscheinung

Das Gute ist überall. Es verfolgt uns mit seiner Gier. Es verfolgt uns gnadenlos. Es projiziert seine Metastasen bis in die intimsten Falten unseres Lebens. Es verwaltet, managt, plant, assistiert. Es erlässt Gesetze, sperrt ein, impft, verurteilt, bombardiert und tötet. Das Gute hat sich vom Imperium zur Tyrannei gewandelt.
Denn das frenetische Streben nach Tugend ist zu einer universellen Besessenheit geworden. Sie ist nicht auf Woke-Zirkel und wohlmeinende NGOs beschränkt. Sie wird auch in den stillen Salons der Vorstandsetagen, den Großraumbüros der Manager, den inklusiven Vorzimmern der Ministerien, den keimfreien Hörsälen der Universitäten und in den sozialen Netzwerken praktiziert, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, vermeintliche Manifestationen des Bösen zu zensieren.
Diese Tyrannei muss dringend angeprangert werden. Das ist das Ziel dieses Leitfadens, der jubelnd auf den Plattformen des wirtschaftlich, kulturell und politisch korrekten Fertig-Denkens herumtrampelt.
In der ätzenden Art eines Philippe Muray entkräftet er die Triebfedern der Softsprache, dieser neuen Sprache, die sich bemüht, das Vokabular zu verstümmeln und es mit englisch klingenden Neologismen zu überfluten, um ihre Untaten besser verbreiten zu können.
Das Ergebnis ist eine Bestandsaufnahme der gängigen Ideen, die all jene erfreuen wird, die die Posen und Schwindeleien, die Heucheleien und die Irreführungen nicht mehr ertragen können, die von dieser verzweifelten Suche nach dem Guten, das am Ende viel Schaden anrichtet, hervorgerufen wird.
Guy Mettan ist weder ein Roboter noch ein Algorithmus. Er ist Journalist und Schriftsteller und hat Hunderte von Artikeln und ein Dutzend Bücher verfasst. Zu seinen bekanntesten Werken zählt «Russland und der Westen, ein tausendjähriger Krieg» (Editions des Syrtes, 2015, 2022), das in sechs Sprachen übersetzt wurde [leider bisher nicht auf deutsch] und «Le Continent perdu» [Der verlorene Kontinent] (Editions des Syrtes, 2019).

Cyberkrieg und Stratcom

Wir schliessen diesen Überblick mit einem Wort über den unglaublichen Erfolg der ukrainischen Propagandakampagne im Westen. Dieser Krieg bietet die Möglichkeit, die erste vollständige Cyberkriegsoperation live mitzuerleben.

Wenn die Pressefreiheit in Russland leidet, ist es bei uns nicht viel besser: Wir haben russische Medien verbannt und verbieten abweichende Standpunkte, obwohl wir vorgeben, die Pressefreiheit zu verteidigen! Innerhalb weniger Tage kam es zu einer Zelenskisierung der Geister, bei der jeder in der Unterwürfigkeit wetteiferte, dem Grossen Helden zuzuhören und seine Wünsche zu erfüllen. Präsident Macron trug sogar einen Dreitagebart und ein olivfarbenes T-Shirt, um seine Unterstützung für die Sache zu unterstreichen, während die Medien auf jegliche journalistische Ethik verzichteten, um die Ukraine voll und ganz unterstützen zu können. Ein derartiger Zusammenbruch der Vernunft in so kurzer Zeit ist unerhört.

Unerhört, aber nicht unerklärlich. Dan Cohen, Korrespondent von «Behind the News», hat die ausgeklügelten Mechanismen der ukrainischen Propaganda und die Gründe für ihren kolossalen Erfolg in unseren Ländern genau analysiert.

Ein Nato-Kommandeur beschrieb die Kampagne in der Washington Post als «eine gewaltige Stratcom-Operation (strategische Kommunikation), die Medien, Info Ops und Psy Ops mobilisiert». Im Wesentlichen ging es darum, die Medien zu mobilisieren und die Öffentlichkeit mit einem ständigen Strom von echten Nachrichten, Fake News, Bildern und Narrativen zu hypnotisieren, die geeignet waren, die Menschen zu verblüffen, um das emotionale Niveau hoch zu halten und die Urteilsfähigkeit der Öffentlichkeit auszuschalten.

So kam es zu einer Flut spektakulärer Bilder und oftmals falscher Informationen: der angebliche Tod der Soldaten auf der Schlangeninsel, der Geist von Kiew, der allein sechs russische Flugzeuge abgeschossen haben soll, die Drohungen gegen das Kernkraftwerk Tschernobyl, die falsche Bombardierung des Kraftwerks Saporoje oder die Fälle der Entbindungsstation und des Theaters in Mariupol, deren Opfer nie gesehen wurden, abgesehen von zwei Frauen, von denen zumindest eine als lebend erkannt wurde.

Dazu kommt die beschleunigte Weisswaschung der Asow-Bataillone, die nach dem Entfernen ihrer Neonazi-Aufnäher zu patriotischen Soldaten umgewandelt wurden, und die Leugnung der Existenz amerikanischer bakteriologischer Labore in der Ukraine, obwohl deren Existenz von Victoria Nuland bei einer Anhörung im Senat am 8. März ausdrücklich zugegeben wurde. Es stimmt, dass sofort ein «Wording» verbreitet wurde, um deren Existenz zu leugnen. Bereits am nächsten Tag begann man, von «biologischen Forschungsstrukturen» zu sprechen und die Öffentlichkeit vor angeblichen russischen Chemieangriffen zu warnen, um das Problem der geheimen bakteriologischen Labors zu ersticken (Vgl. BFM TV).

Es zeigt sich, dass die ukrainische Kommunikation unter der Ägide der PR Network Group nicht weniger als 150 PR-Firmen, Tausende von Experten, Dutzende von Nachrichtenagenturen, renommierte Medien, Telegram-Kanäle und russische Oppositionsmedien einsetzt, um ihre Botschaften zu verbreiten und die westliche öffentliche Meinung zu formatieren.

Man macht sich über die Russen lustig, die die Verwendung des Wortes Krieg zugunsten des Wortes «Sonderoperation» verboten haben. Aber die westlichen Medien machen es nicht besser, denn sie werden ständig mit Schlüsselbotschaften und Sprachelementen versorgt und verbieten beispielsweise die Verwendung von Ausdrücken wie «Krim-Referendum» oder «Bürgerkrieg im Donbass». Weitere Einzelheiten finden sich bei Dan Cohen, Ukraine's Propaganda War: International PR firms, DC lobbyists and CIA cutouts, MintPressNews.com.

Hinter diesem glänzenden Erfolg in den westlichen Ländern verbirgt sich jedoch ein offensichtliches Versagen in Lateinamerika, Afrika und Asien, also in den restlichen 75 Prozent der bewohnten Welt. Die Länder des Südens fallen nicht mehr auf unsere Lügen und Interessen herein, und Zelenskis Stern beginnt zu verblassen.

Sein erbärmlicher Auftritt in der Knesset, bei dem er den Fehler beging, die russische Offensive mit der «Endlösung» zu vergleichen, obwohl es die Russen waren, die Auschwitz befreiten und Hitler zurückdrängten, und es die Vorfahren seiner Verbündeten von der ukrainischen nationalistischen extremen Rechten waren, die am Holocaust mit Schusswaffen beteiligt waren, wird der Tropfen zu viel gewesen sein.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, schliesse ich diesen langen Artikel mit den Worten: Man kann, ja man muss diesen Krieg verurteilen. Aber bitte hören wir auf, uns selbst zu blenden. Lassen Sie uns unseren kritischen Geist und unseren Realitätssinn wiederfinden. Nur so können wir auf dem Trümmerfeld, zu dem die Ukraine geworden ist, wieder einen dauerhaften Frieden aufbauen.

* Guy Mettan ist Politologe und Journalist. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der Tribune de Genève und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Heute arbeitet er als freischaffender Journalist und Buchautor.

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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