Putins nukleare rote Linie

Manlio Dinucci (Bild zvg)

von Manlio Dinucci,* Italien

(11. April 2023) Russland hat angekündigt, Atomwaffen nach Belarus zu verlegen. Im Gegensatz zu dem, was man denken könnte, ist dies keine besonders aggressive Haltung Russlands, sondern eine defensive Reaktion auf die Stationierung von US-Atomwaffen in Russlands Nachbarländern. Wenn Moskau in gleicher Weise auf Washington hätte reagieren wollen, hätte es seine nuklearen Sprengköpfe in Kuba installieren müssen.

«Russland wird seine taktischen Atomwaffen auf Ersuchen von Minsk in Belarus stationieren», kündigte Präsident Wladimir Putin an. «In Wirklichkeit», stellt er klar, «tun wir alles, was die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten tun».

Moskau weist darauf hin, dass die USA ihre taktischen Atomwaffen in Europa in sechs NATO-Ländern stationiert haben: Italien, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Türkei und Griechenland (in Griechenland gibt es derzeit keine, aber es gibt ein Lager, um sie aufzunehmen).

Die B61-Atombomben, die in Italien auf den Stützpunkten Aviano und Ghedi stationiert sind, werden nun durch die neuen B61-12 ersetzt, die die US-Luftwaffe derzeit nach Europa verlegt.

Sie haben Eigenschaften, die sie viel tödlicher machen als die Vorversionen: Jede Bombe hat 4 Energieoptionen, abhängig vom Ziel, das getroffen werden soll, sie wird durch ein Satellitenleitsystem auf das Ziel gerichtet und kann in den Boden eindringen, um Bunker feindlicher Kommandozentralen zu zerstören. Wahrscheinlich werden die USA die B61-12 auch in Polen und anderen Nato-Ländern noch näher an die russische Grenze bringen.

Drei Nato-Atommächte – die USA, Grossbritannien und Frankreich – und vier nuklear bewaffnete Nato-Mitglieder – Italien, Deutschland, Belgien und die Niederlande – beteiligen sich an der Operation «Baltic Air Policing»1 im Luftraum von Lettland, Litauen, Estland und Polen mit Flugzeugen, die taktische Atomwaffen tragen können.

Darüber hinaus führen strategische B-52H-Bomber der US-Luftwaffe Atomkriegstrainings­missionen im Baltikum und in anderen europäischen Gebieten durch, die an das russische Territorium grenzen. Die europäischen Bündnispartner haben 19 Flughäfen für diese Missionen zur Verfügung gestellt. Die USA, die den INF-Vertrag zerrissen haben, bereiten auch nukleare Mittelstreckenraketen vor, die in Europa stationiert werden sollen.

Zu diesem offensiven Einsatz kommen noch die Stützpunkte und Schiffe des «Raketenabwehrsystems» Aegis, die von den USA in Europa stationiert werden. Sowohl Schiffe als auch landgestützte Aegis-Einrichtungen sind mit Lockheed Martin Mk 41-Senkrechtwerfern ausgestattet, die nach Angaben des Herstellers nicht nur Abfangraketen, sondern auch mit Atomsprengköpfen bewaffnete Marschflugkörper abfeuern können.

Nachdem die USA und die Nato russische Vorschläge abgelehnt haben, um diese immer gefährlicher werdende nukleare Eskalation aufzuhalten, reagiert Russland mit Fakten, indem es in Weissrussland, in unmittelbarer Nähe zu US-Nato-Stützpunkten in Europa, Atombomben und Mittelstreckenraketen stationiert, die bereit sind, mit Atomsprengköpfen bewaffnet zu werden.

* Manlio Dinucci ist ein preisgekrönter Autor, geopolitischer Analyst und Geograf aus Pisa in Italien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des kanadischen Centre for Research on Globalization (CRG).

Quelle: https://www.voltairenet.org/article219118.html, 6. April 2023

1 «Baltic Air Policing»: « Baltikum-Luftraumüberwachung der Nato» wurde 2004 nach dem Beitritt der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen geschaffen. Seither sind ständig 8-10 Nato-Kampfflugzeuge verschiedener Länder auf den Luftwaffenstützpunkten Šiauliai in Litauen und (seit 2014) Ämari in Estland stationiert.

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