Wahrheiten und Lügen zu den Versprechungen gegenüber Russland

Guy Mettan (Bild zvg)

von Guy Mettan,* freier Journalist, Genf

(17. Februar 2022) Der Informationskrieg, der die Spannungen zwischen der Nato und Russland in Bezug auf die Ukraine begleitet, führt häufig zu einer Verzerrung der historischen Realität.

Insbesondere müssen zahlreiche Artikel korrigiert werden, in denen behauptet wurde, dass das Versprechen der USA an Gorbatschow im Jahr 1991, wonach die Nato im Gegenzug für die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abzug der Truppen der Roten Armee aus Osteuropa «keinen Zoll nach Osten vorrücken» würde, ein «Mythos» sei, der vom Kreml geprägt wurde, um die Ukraine zu neutralisieren oder gar zu überfallen.

Diese These beruht auf einem Artikel, der 2014, zur Zeit der Ukraine-Krise, in der Zeitschrift Foreign Affairs erschien und in einem im November letzten Jahres veröffentlichten Buch wieder aufgegriffen wurde. Deren Autorin, Mary E. Sarote, ist Mitglied des einflussreichsten Think Tanks der imperialen Politik der USA, des Council on Foreign Relations, dessen Stellungnahmen eher Propaganda als unvoreingenommene Studien sind.

Denn dieser angebliche «Mythos» könnte nicht wahrer sein. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden, wenn man verstehen will, was vor sich geht, und wenn man eine Verhandlungslösung für den Konflikt finden will.

Am 9. Februar 1990 sagte der damalige US-Aussenminister James Baker genau das: «Wir sind der Ansicht, dass die Konsultationen und Diskussionen im Rahmen des 2+4-Mechanismus eine Garantie dafür bieten sollten, dass die Wiedervereinigung Deutschlands nicht zu einer Osterweiterung der militärischen Organisation der Nato führt.» Am nächsten Tag legte Bundeskanzler Helmut Kohl nach: «Wir sind der Ansicht, dass die Nato ihren Tätigkeitsbereich nicht erweitern sollte.»

Im Dezember 2017 veröffentlichte das National Security Archive der George Washington University Memos, Protokolle und Telegramme aus dieser Zeit, aus denen hervorgeht, dass die Zusicherungen des Westens in zahlreichen Dokumenten auftauchen, die während der Gespräche zwischen den Kanzleien in den Jahren 1990 und 1991 aufgezeichnet oder geschrieben wurden.

Einzelheiten dazu finden Sie auf der Website der Universität unter dem Titel «Nato Expansion: What Gorbatchev Heard. Declassified documents show security assurance against Nato expansion to Soviet leaders from Baker, Bush, Genscher, Kohl, Gates, Mitterrand, Thatcher, Hurd, Major and Woerner. Slavic Studies Panel Addresses ‹Who Promised What to Whom on Nato Expansion?›»

Der ehemalige US-Botschafter in Moskau, Jack Matlock, hat diese Tatsachen in seinen verschiedenen Veröffentlichungen bestätigt. Es wurden also tatsächlich Garantien gegeben, auch wenn sie nicht in einem ordnungsgemäss unterzeichneten Vertrag enthalten sind.

Aber man muss sie auch zur Kenntnis nehmen wollen und anerkennen, dass das gegebene Wort gilt.

Erst später, mit dem Erstarken der Neokonservativen, beschloss Präsident Bill Clinton, sie zu ignorieren, und schaffte es 1997, die Nato nach Osten auszudehnen, indem er neue Mitglieder aufnahm und dafür seinem Freund Boris Jelzin ein «Bestechungsgeld» von 4 Milliarden Dollar zahlte, wie dieser das Geschenk später nannte.

Der entschiedenste Russenhasser der US-Regierung, Zbigniew Brezinski, Autor des berühmten Buches «Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft.», in dem er erklärte, warum die USA unbedingt die Ukraine einnehmen mussten, ahnte damals schon, was heute geschehen würde: «Wenn Russland abgelehnt oder ausgeschlossen wird, wird es voller Groll sein und sein Selbstverständnis wird antieuropäischer und antiwestlicher werden.» Er drängte Clinton zur Eile: «Je länger wir warten, desto lauter werden die Einwände Moskaus», sagte er Mitte der 1990er Jahre voraus und warnte gleichzeitig vor einer zu schnellen Expansion.

Diese Gefahr war auch Georges Kennan, dem Vater der Eindämmung der Sowjetunion, nicht entgangen. In einem 1997 in der New York Times erschienenen Artikel sah er die heutige Situation voraus, als er schrieb, nach dem Wortbruch gegenüber Gorbatschow sei die Aufnahme Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik in die Nato «der grösste Fehler der amerikanischen Politik nach dem Kalten Krieg und dies wird zur Entfachung der nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Öffentlichkeit führen.»

Seitdem hat die Nato die Situation nur noch verschlimmert, indem sie 2004 sieben neue Staaten aufnahm und im April 2008 der Ukraine und Georgien die Mitgliedschaft versprach, bevor sie Georgien im August desselben Jahres zum Angriff auf Südossetien ermutigte. Dies geschah nur zehn Monate nach Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, in der er den Wunsch geäussert hatte, die Nato solle sich nicht weiter ausdehnen! Innerhalb von 25 Jahren hat die Nato die Zahl ihrer Mitglieder verdoppelt, die alle im Osten liegen.

Gleichzeitig häufte sie Aggressionen an, indem sie dreist log und das Völkerrecht beugte: Golfkrieg 1991 (mit dem erfundenen Fall der aus den kuwaitischen Brutkästen gerissenen Babys); Zerstörung Jugoslawiens 1992, illegale Bombardierung Serbiens 1999 und Abspaltung des Kosovo (gerechtfertigt durch das Pseudo-Massaker von Raçak und den sogenannten Hufeisenplan, die Serbien unterstellt wurden); Invasion Afghanistans 2001; Irakkrieg 2003 (ausgelöst durch Colin Powells Lügen vor der UNO); Zerstörung Libyens und Ermordung Gaddafis (der fälschlicherweise beschuldigt wurde, seine Bevölkerung zu massakrieren) 2011; Versuch zwischen 2011 und 2019, Syrien zu zerstören und den Präsidenten zu stürzen; Krieg im Jemen seit 2015, der unter saudischer Flagge geführt wird und von der UNO als die grösste humanitäre Katastrophe unserer Zeit bezeichnet wird.

Es fällt schwer, nach diesen Tatsachen die Nato unter amerikanischer Führung als einen unschuldigen und friedlichen Bridgeclub zu betrachten.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Russland nach dem von den USA organisierten Staatsstreich im Februar 2014 zum Sturz des demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch – der den Fehler begangen hatte, sich eine Ukraine im Gleichgewicht zwischen Russland und Europa zu wünschen – die Kontrolle über die Krim zurückholte, während die Provinzen im Donbass gegen diese Schandtat des Staatsstreichs rebellierten.

Den USA und der Nato steht es natürlich frei, ihr Wort zu brechen und ihren aggressiven Kurs fortzusetzen – auf die Gefahr hin, einen Krieg zu entfachen. Die Öffentlichkeit hat jedoch das Recht zu erfahren, weshalb wir heute vor einem möglichen europäischen Desaster stehen, wer die wirklichen Verantwortlichen sind und wie sich diese verhalten haben.

* Autor des Buches «Russie-Occident: une guerre de mille ans». Syrtes, 2015 (Russland und der Westen: Ein tausendjähriger Krieg)

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