Wie die USA gemeinsam mit Norwegen die Nord-Stream-Pipelines zerstörten

von Seymour Hersh,* USA

(21. Februar 2023) (Red.) Der weltweit wohl renommierteste zeitgenössische Enthüllungsjournalist, Seymour Hersh, brachte Licht in das wohl bestgehütete «offene» Geheimnis des vergangenen Jahres – die Sprengung der Nord Stream-Pipelines in der Ostsee. Mit diesem Anschlag wurde der wirtschaftliche Aufschwung Europas und insbesondere Deutschlands jäh gebremst und in eine wirtschaftliche und militärische Zwangsverbindung mit den USA und Grossbritannien gegen Russland geführt. Geharnischter Einspruch und eine seriöse juristische Aufarbeitung stehen noch aus …

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Die «New York Times» nannte es ein «Mysterium», aber die Vereinigten Staaten führten eine verdeckte Seeoperation durch, die geheim gehalten wurde – bis jetzt.

Einleitung

Das Tauch- und Bergungszentrum der US-Marine befindet sich an einem Ort, der so obskur ist wie sein Name – an einem ehemaligen Feldweg im ländlichen Panama City, einer heute boomenden Urlaubsstadt im südwestlichen Panhandle von Florida, 70 Meilen südlich der Grenze zu Alabama. Der Komplex des Zentrums ist so unscheinbar wie sein Standort – ein trister Betonbau aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der an eine Berufsschule im Westen Chicagos erinnert. Auf der anderen Seite der heute vierspurigen Strasse befinden sich ein Münzwaschsalon und eine Tanzschule.

Das Zentrum bildet seit Jahrzehnten hochqualifizierte Tiefseetaucher aus, die einst amerikanischen Militäreinheiten auf der ganzen Welt zugeteilt waren. Sie sind in der Lage, technische Tauchgänge durchzuführen, um sowohl das Gute zu tun – C4-Sprengstoff zu verwenden, um Häfen und Strände von Trümmern und nicht explodierten Sprengkörpern zu befreien – als auch das Schlechte, wie das Sprengen ausländischer Ölplattformen, das Verschmutzen von Einlassventilen für Unterwasserkraftwerke oder das Zerstören von Schleusen in wichtigen Schifffahrtskanälen.

Das Zentrum in Panama City, das über das zweitgrösste Hallenbad Amerikas verfügt, war der perfekte Ort, um die besten und wortkargsten Absolventen der Tauchschule zu rekrutieren, die im vergangenen Sommer erfolgreich das taten, wozu sie 260 Fuss [80 Meter] unter der Oberfläche der Ostsee befugt gewesen waren.

Im vergangenen Juni brachten die Marinetaucher im Rahmen einer weithin bekannten Nato-Sommerübung namens BALTOPS 22 die fernausgelösten Sprengsätze an, die drei Monate später drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörten, so eine Quelle mit direkter Kenntnis der Einsatzplanung.

Zwei der Pipelines, die unter dem Namen Nord Stream 1 bekannt sind, versorgen Deutschland und weite Teile Westeuropas seit mehr als einem Jahrzehnt mit billigem russischem Erdgas. Ein zweites Paar von Pipelines, Nord Stream 2 genannt, wurde bereits gebaut, war aber noch nicht in Betrieb. Nun, da sich russische Truppen an der ukrainischen Grenze sammeln und der blutigste Krieg in Europa seit 1945 droht, sah Präsident Joseph Biden in den Pipelines ein Vehikel für Wladimir Putin, um Erdgas für seine politischen und territorialen Ambitionen zu instrumentalisieren.

Adrienne Watson, eine Sprecherin des Weissen Hauses, erklärte in einer E-Mail: «Das ist falsch und frei erfunden.» Tammy Thorp, eine Sprecherin des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA), schrieb ebenfalls: «Diese Behauptung ist komplett und völlig falsch.»

Seymour Hersh. (Bild ScottRitterextra.com)

* Seymour Hersh (geboren 1937 in Chicago, Illinois) ist ein US-amerikanischer investigativer Journalist. Er war bis 2015 regelmässiger Mitarbeiter beim Wochenmagazin The New Yorker. Seymour Hersh wurde 1969 weltbekannt, als er während des Vietnamkriegs die Kriegsverbrechen der US-Armee im Massaker von My Lai aufdeckte. 2004 publizierte er zum Folterskandal der US-Armee während des Dritten Golfkrieges im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis. Seine jüngeren Veröffentlichungen waren kritische Berichte zur Tötung von Osama bin Laden und zu Giftgasangriffen in Syrien.

Im November 2018, vor der Insel Rügen. Der Bau der Nord Stream 2-Pipelines
erforderte den Einsatz modernster Technologien: hier das Verlegeschiff «Audacia».
(Bild Keystone/DPA/Bernd Wüstneck)

Entscheidung nach neun Monaten streng geheimer Debatten

Bidens Entscheidung, die Pipelines zu sabotieren, kam nach mehr als neun Monaten streng geheimer Debatten innerhalb der nationalen Sicherheitsgemeinschaft in Washington darüber, wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei. Die meiste Zeit über ging es nicht um die Frage, ob die Mission durchgeführt werden sollte, sondern darum, wie sie durchgeführt werden konnte, ohne dass klar war, wer dafür verantwortlich war.

Es gab einen wichtigen bürokratischen Grund, sich auf die Absolventen der Tauchschule des Zentrums in Panama City zu verlassen. Die Taucher gehörten ausschliesslich der Marine an und nicht dem amerikanischen Kommando für Sondereinsätze, dessen verdeckte Operationen dem Kongress gemeldet und der Führung des Senats und des Repräsentantenhauses – der so genannten Gang of Eight – im Voraus mitgeteilt werden müssen. Die Biden-Administration tat alles, um undichte Stellen zu vermeiden, als die Planung Ende 2021 und in den ersten Monaten des Jahres 2022 stattfand.

Präsident Biden und sein aussenpolitisches Team – der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, Aussenminister Tony Blinken und Victoria Nuland, die Unterstaatssekretärin für Politik – hatten sich klar und deutlich gegen die beiden Pipelines ausgesprochen, die von zwei verschiedenen Häfen im Nordosten Russlands nahe der estnischen Grenze Seite an Seite 750 Meilen [1200 km]unter der Ostsee hindurch verlaufen und in der Nähe der dänischen Insel Bornholm vorbeiführen, bevor sie in Norddeutschland enden.

Die direkte Route, die den Transit durch die Ukraine umging, war ein Segen für die deutsche Wirtschaft, die in den Genuss eines Überflusses an billigem russischem Erdgas kam – genug, um ihre Fabriken zu betreiben und ihre Häuser zu heizen, während die deutschen Verteilerunternehmen überschüssiges Gas mit Gewinn in ganz Westeuropa verkaufen konnten. Massnahmen, die auf die Regierung zurückgeführt werden könnten, würden gegen das Versprechen der USA verstossen, den direkten Konflikt mit Russland zu minimieren. Geheimhaltung war unerlässlich.

Schon Nord Stream 1 war eine Bedrohung für die US-Vorherrschaft

Von Anfang an wurde Nord Stream 1 von Washington und seinen antirussischen Nato-Partnern als Bedrohung der westlichen Vorherrschaft angesehen. Die dahinterstehende Holdinggesellschaft, die Nord Stream AG, wurde 2005 in der Schweiz in Partnerschaft mit Gazprom gegründet. Gazprom ist ein börsennotiertes russisches Unternehmen, das enorme Gewinne für seine Aktionäre erwirtschaftet und von Oligarchen beherrscht wird, die bekanntermassen im Bannkreis von Putin stehen. Gazprom kontrollierte 51 Prozent des Unternehmens, während sich vier europäische Energieunternehmen – eines in Frankreich, eines in den Niederlanden und zwei in Deutschland – die restlichen 49 Prozent der Aktien teilten und das Recht hatten, den nachgelagerten Verkauf des preiswerten Erdgases an lokale Verteiler in Deutschland und Westeuropa zu kontrollieren. Die Gewinne von Gazprom wurden mit der russischen Regierung geteilt, und die staatlichen Gas- und Öleinnahmen machten in manchen Jahren schätzungsweise bis zu 45 Prozent des russischen Jahreshaushalts aus.

Die politischen Befürchtungen der Amerikaner waren real: Putin würde nun über eine zusätzliche und dringend benötigte wichtige Einnahmequelle verfügen, und Deutschland und das übrige Westeuropa würden von preiswertem, von Russland geliefertem Erdgas abhängig werden – und gleichzeitig die Abhängigkeit Europas von Amerika verringern.

Tatsächlich ist genau das passiert. Viele Deutsche sahen Nord Stream 1 als Teil der Befreiung von der berühmten Ostpolitik des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, die es dem Nachkriegsdeutschland ermöglichen würde, sich selbst und andere europäische Nationen, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren, zu rehabilitieren, indem es unter anderem billiges russisches Gas als Treibstoff für einen florierenden westeuropäischen Markt und eine florierende Handelswirtschaft nutzen würde.

Nord Stream 1 war nach Ansicht der Nato und Washingtons schon gefährlich genug, aber Nord Stream 2, dessen Bau im September 2021 abgeschlossen wurde, würde, wenn die deutschen Aufsichtsbehörden zustimmen, die Menge an billigem Gas verdoppeln, die Deutschland und Westeuropa zur Verfügung stehen würde. Die zweite Pipeline würde ausserdem genug Gas für mehr als 50 Prozent des jährlichen Verbrauchs in Deutschland liefern. Die Spannungen zwischen Russland und der Nato eskalierten ständig, unterstützt durch die aggressive Aussenpolitik der Biden-Administration.

Die Pipeline-Rohrteile werden im Verlegeschiff «Audacia» zusammengeschweisst
und dann auf den Meeresgrund versenkt (2018, Nord Stream 2).
(Bild Keystone/DPA/Bernd Wüstneck)

Massiver republikanischer Widerstand gegen Nord Stream 2

Der Widerstand gegen Nord Stream 2 flammte am Vorabend der Amtseinführung Bidens im Januar 2021 auf, als die Republikaner im Senat, angeführt von Ted Cruz aus Texas, während der Anhörung zur Bestätigung Blinkens als Aussenminister wiederholt die politische Bedrohung durch billiges russisches Erdgas ansprachen. Bis dahin hatte ein vereinigter Senat erfolgreich ein Gesetz verabschiedet, das, wie Cruz zu Blinken sagte, «[die Pipeline] in ihrem Lauf aufhielt». Die deutsche Regierung, die damals von Angela Merkel geführt wurde, übte enormen politischen und wirtschaftlichen Druck aus, um die zweite Pipeline in Betrieb zu nehmen.

Würde Biden den Deutschen die Stirn bieten? Blinken bejahte dies, fügte aber hinzu, dass er die Ansichten des neuen Präsidenten nicht im Einzelnen erörtert habe. «Ich kenne seine feste Überzeugung, dass Nord Stream 2 eine schlechte Idee ist», sagte er. «Ich weiss, dass er möchte, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um unsere Freunde und Partner, einschliesslich Deutschland, davon zu überzeugen, das Projekt nicht voranzutreiben.»

Biden lenkt ein und verzichtet auf Sanktionen

Ein paar Monate später, als der Bau der zweiten Pipeline kurz vor der Fertigstellung stand, lenkte Biden ein. Im Mai dieses Jahres verzichtete die Regierung in einer erstaunlichen Kehrtwende auf Sanktionen gegen die Nord Stream AG, wobei ein Beamter des Aussenministeriums einräumte, dass der Versuch, die Pipeline durch Sanktionen und Diplomatie zu stoppen, «schon immer aussichtslos» gewesen sei. Hinter den Kulissen drängten Beamte der Regierung Berichten zufolge den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelensky, der zu diesem Zeitpunkt von einer russischen Invasion bedroht war, dazu, den Schritt nicht zu kritisieren.

Das hatte unmittelbare Folgen. Die Republikaner im Senat, angeführt von Cruz, kündigten eine sofortige Blockade aller von Biden nominierten Kandidaten für die Aussenpolitik an und verzögerten die Verabschiedung des jährlichen Verteidigungsgesetzes über Monate hinweg bis tief in den Herbst hinein. Politico bezeichnete Bidens Kehrtwende in Bezug auf die zweite russische Pipeline später als «die einzige Entscheidung, die Bidens Agenda gefährdet hat, wohl noch mehr als der chaotische militärische Rückzug aus Afghanistan».

Die Regierung geriet ins Trudeln, obwohl sie Mitte November einen Aufschub in der Krise erhielt, als die deutschen Energieregulierungsbehörden die Genehmigung für die zweite Nord Stream-Pipeline aussetzten. Die Erdgaspreise stiegen innerhalb weniger Tage um 8%, da in Deutschland und Europa die Befürchtung wuchs, dass die Aussetzung der Pipeline und die wachsende Möglichkeit eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine zu einem sehr unerwünschten kalten Winter führen würden.

Wo steht Scholz?

In Washington war nicht klar, wo Olaf Scholz, der neu ernannte deutsche Bundeskanzler, steht. Monate zuvor, nach dem Fall Afghanistans, hatte Scholz in einer Rede in Prag öffentlich die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach einer eigenständigeren europäischen Aussenpolitik unterstützt – ein klarer Hinweis darauf, dass man sich weniger auf Washington und dessen unberechenbares Handeln verlassen sollte.

Während dieser ganzen Zeit hatten sich die russischen Truppen an den Grenzen der Ukraine stetig und bedrohlich verstärkt, und Ende Dezember waren mehr als 100 000 Soldaten in der Lage, von Weissrussland und der Krim aus anzugreifen. In Washington wuchs die Besorgnis, und Blinken schätzte ein, dass diese Truppenstärke «in kurzer Zeit verdoppelt werden könnte».

Die Aufmerksamkeit der Regierung richtete sich wieder einmal auf Nord Stream. Solange Europa von den Pipelines für billiges Erdgas abhängig blieb, befürchtete Washington, dass Länder wie Deutschland zögern würden, die Ukraine mit dem Geld und den Waffen zu versorgen, die sie brauchte, um Russland zu besiegen.

In diesem unruhigen Moment beauftragte Biden Jake Sullivan, eine behördenübergreifende Gruppe zusammenzustellen, die einen Plan ausarbeiten sollte.

Alle Optionen sollten auf den Tisch gelegt werden. Aber nur eine setzte sich durch.

Anlandestation Lubin (D) von Nord Stream 1, seit 2012 in Betrieb. Das Projekt wurde
von den USA damals schon systematisch behindert und sabotiert.
(Bild Keystone/LAIF/Jens Gyarmaty)

Beginn der Planung

Im Dezember 2021, zwei Monate bevor die ersten russischen Panzer in die Ukraine rollten, berief Jake Sullivan eine Sitzung einer neu gebildeten Arbeitsgruppe ein – Männer und Frauen aus den Stabschefs, der CIA, dem Aussen- und dem Finanzministerium – und bat sie um Empfehlungen, wie auf Putins bevorstehende Invasion zu reagieren sei.

Es war das erste einer Reihe von streng geheimen Treffen in einem sicheren Raum im obersten Stockwerk des Old Executive Office Building, das an das Weisse Haus angrenzt und in dem auch das President's Foreign Intelligence Advisory Board (PFIAB) untergebracht war. Es gab das übliche Hin- und Hergerede, das schliesslich zu einer entscheidenden Vorfrage führte: Würde die Empfehlung, die die Gruppe dem Präsidenten übermittelte, reversibel sein – wie eine weitere Schicht von Sanktionen und Devisenbeschränkungen – oder irreversibel – d. h. kinetische Aktionen, die nicht rückgängig gemacht werden könnten?

Laut der Quelle mit direkter Kenntnis des Prozesses wurde den Teilnehmern klar, dass Sullivan beabsichtigte, dass die Gruppe einen Plan für die Zerstörung der beiden Nord-Stream-Pipelines ausarbeiten sollte – und dass er den Wünschen des Präsidenten nachkam.

In den nächsten Sitzungen erörterten die Teilnehmer Optionen für einen Angriff. Die Marine schlug vor, ein neu in Dienst gestelltes U-Boot einzusetzen, um die Pipeline direkt anzugreifen. Die Air Force diskutierte den Abwurf von Bomben mit verzögertem Zünder, die aus der Ferne gezündet werden könnten. Die CIA vertrat die Ansicht, dass der Angriff in jedem Fall verdeckt erfolgen müsse. Allen Beteiligten war klar, was auf dem Spiel stand. «Das ist kein Kinderkram», sagte die Quelle. Wenn der Angriff auf die Vereinigten Staaten zurückgeführt werden könnte, «wäre das eine Kriegshandlung».

Zu dieser Zeit wurde die CIA von William Burns geleitet, einem sanftmütigen ehemaligen Botschafter in Russland, der als stellvertretender Aussenminister in der Obama-Regierung gedient hatte. Burns ermächtigte rasch eine Arbeitsgruppe der Agentur, zu deren Ad-hoc-Mitgliedern zufällig jemand gehörte, der mit den Fähigkeiten der Tiefseetaucher der Marine in Panama City vertraut war. In den nächsten Wochen begannen die Mitglieder der CIA-Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung eines Plans für eine verdeckte Operation, bei der Tiefseetaucher eingesetzt werden sollten, um eine Explosion entlang der Pipeline auszulösen.

Erfahrungen aus dem Jahr 1971

So etwas war schon einmal gemacht worden. Im Jahr 1971 erfuhr der amerikanische Geheimdienst aus noch unbekannten Quellen, dass zwei wichtige Einheiten der russischen Marine über ein im Ochotskischen Meer an der russischen Fernostküste verlegtes Unterseekabel miteinander kommunizierten. Das Kabel verband ein regionales Marinekommando mit dem Hauptquartier auf dem Festland in Wladiwostok.

Ein handverlesenes Team von Mitarbeitern des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency und der National Security Agency (NSA) wurde irgendwo im Grossraum Washington zusammengetrommelt und arbeitete unter Einsatz von Marinetauchern, umgebauten U-Booten und einem Tiefsee-Rettungsfahrzeug einen Plan aus, mit dem es nach vielen Versuchen und Irrtümern gelang, das russische Kabel zu lokalisieren. Die Taucher brachten ein ausgeklügeltes Abhörgerät auf dem Kabel an, das den russischen Datenverkehr erfolgreich abfing und mit einem Abhörsystem aufzeichnete.

Die NSA erfuhr, dass hochrangige russische Marineoffiziere, die von der Sicherheit ihrer Kommunikationsverbindung überzeugt waren, ohne Verschlüsselung mit ihren Kollegen plauderten. Das Aufzeichnungsgerät und das dazugehörige Band mussten monatlich ausgetauscht werden, und das Projekt lief ein Jahrzehnt lang munter weiter, bis es von einem vierundvierzigjährigen zivilen NSA-Techniker namens Ronald Pelton, der fliessend Russisch sprach, aufgeflogen wurde. Pelton wurde 1985 von einem russischen Überläufer verraten und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Russen zahlten ihm nur 5000 Dollar für seine Enthüllungen über die Operation sowie 35 000 Dollar für andere russische Betriebsdaten, die er zur Verfügung stellte und die nie veröffentlicht wurden.

Dieser Unterwassererfolg mit dem Codenamen Ivy Bells war innovativ und riskant und lieferte unschätzbare Erkenntnisse über die
Absichten und Planungen der russischen Marine.

Dennoch war die behördenübergreifende Gruppe anfangs skeptisch, was die Begeisterung der CIA für einen verdeckten Tiefseeangriff anging. Es gab zu viele unbeantwortete Fragen. Die Gewässer der Ostsee wurden von der russischen Marine stark patrouilliert, und es gab keine Ölplattformen, die als Deckung für eine Tauchoperation genutzt werden konnten. Müssten die Taucher nach Estland fahren, direkt über die Grenze zu den russischen Erdgasverladedocks, um für den Einsatz zu trainieren? «Das ergäbe ein Fiasko», wurde der Agentur gesagt.

Während «all dieser Planungen», so die Quelle, «sagten einige Mitarbeiter der CIA und des Aussenministeriums: ‹Macht das nicht. Es ist dumm und wird ein politischer Albtraum sein, wenn es auskommt.›»

Bidens und Nulands Indiskretionen

Dennoch berichtete die CIA-Arbeitsgruppe Anfang 2022 an Sullivans behördenübergreifende Gruppe: «Wir haben eine Möglichkeit, die Pipelines zu sprengen.»

Was dann kam, war verblüffend. Am 7. Februar, weniger als drei Wochen vor der scheinbar unvermeidlichen russischen Invasion in der Ukraine, traf Biden in seinem Büro im Weissen Haus mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen, der nach einigem Wackeln nun fest auf der Seite der Amerikaner stand. Bei der anschliessenden Pressekonferenz sagte Biden trotzig: « Wenn Russland einmarschiert ... wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.»

Zwanzig Tage zuvor hatte Staatssekretärin Nuland bei einem Briefing des Aussenministeriums im Wesentlichen dieselbe Botschaft verkündet, ohne dass die Presse darüber berichtet hätte. «Ich möchte mich heute ganz klar ausdrücken», sagte sie als Antwort auf eine Frage. «Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.»

Mehrere an der Planung der Pipeline beteiligte Personen zeigten sich bestürzt über die ihrer Meinung nach indirekten Anspielungen auf den Angriff.

« Es war, als würde man eine Atombombe in Tokio auf den Boden legen und den Japanern sagen, dass wir sie zünden werden», so die Quelle. «Der Plan sah vor, dass die Optionen nach der Invasion ausgeführt und nicht öffentlich bekannt gegeben werden sollten. Biden hat es einfach nicht kapiert oder ignoriert.»

Bidens und Nulands Indiskretionen, wenn es denn so war, könnte einige der Planer frustriert haben. Aber sie schuf auch eine Gelegenheit. Der Quelle zufolge waren einige hochrangige CIA-Beamte der Ansicht, dass die Sprengung der Pipeline «nicht länger als verdeckte Option betrachtet werden konnte, weil der Präsident gerade bekannt gegeben hatte, dass wir wüssten, wie man es macht».

Der Plan, Nord Stream 1 und 2 zu sprengen, wurde plötzlich von einer verdeckten Operation, die eine Unterrichtung des Kongresses erforderte, zu einer als streng geheim eingestuften Geheimdienstoperation mit militärischer Unterstützung der USA herabgestuft. Nach dem Gesetz, so die Quelle, «gab es keine rechtliche Verpflichtung mehr, den Kongress über die Operation zu informieren. Alles, was sie jetzt tun mussten, war, es einfach zu tun – aber es musste geheim bleiben. Die Russen haben eine hervorragende Überwachung der Ostsee».

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe der Agentur hatten keinen direkten Kontakt zum Weissen Haus und wollten unbedingt herausfinden, ob der Präsident es ernst meinte, mit dem was er gesagt hatte, d. h. ob die Mission nun genehmigt war. Die Quelle erinnerte sich: «Bill Burns kam zurück und sagte: ‹Tun Sie es›».

30. Juli 2019. Verlegung der Gasanbindungsleitung EUGAL für Nord Stream 2.
Auch diese Arbeiten an Land erforderten enorme Investitionen.
(Keystone/LAIF/Paul Langrock/Zenit)

Die Geheimdienstoperation beginnt

Norwegen war der perfekte Ort für die Mission.
In den letzten Jahren der Ost-West-Krise hat das US-Militär seine Präsenz in Norwegen, dessen westliche Grenze 1400 Meilen [2250 km] entlang des Nordatlantiks verläuft und oberhalb des Polarkreises mit Russland zusammentrifft, stark ausgebaut. Das Pentagon hat durch Investitionen in Höhe von Hunderten von Millionen Dollar in die Modernisierung und den Ausbau von Einrichtungen der amerikanischen Marine und der Luftwaffe in Norwegen hoch bezahlte Arbeitsplätze und Verträge geschaffen, die vor Ort nicht unumstritten waren. Zu den neuen Arbeiten gehörte vor allem ein fortschrittliches Radar mit synthetischer Apertur weit im Norden, das tief in Russland eindringen kann und gerade zu dem Zeitpunkt in Betrieb genommen wurde, als die amerikanischen Geheimdienste den Zugang zu einer Reihe von Langstrecken-Abhörstationen in China verloren.

Ein neu eingerichteter amerikanischer U-Boot-Stützpunkt, der seit Jahren im Bau war, wurde in Betrieb genommen, und mehr amerikanische U-Boote konnten nun eng mit ihren norwegischen Kollegen zusammenarbeiten, um eine grosse russische Nuklearstation 250 Meilen [400 km] östlich auf der Halbinsel Kola zu überwachen und auszuspionieren. Die Amerikaner haben ausserdem einen norwegischen Luftwaffenstützpunkt im Norden erheblich ausgebaut und der norwegischen Luftwaffe eine Flotte von Boeing-Poseidon-Patrouillenflugzeugen zur Verfügung gestellt, um die Langstrecken-Spionage gegen Russland zu verstärken.

Im Gegenzug verärgerte die norwegische Regierung im November letzten Jahres die Liberalen und einige gemässigte Abgeordnete im Parlament mit der Verabschiedung des ergänzenden Abkommens über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich (SDCA). Das neue Abkommen sieht vor, dass die US-Justiz in bestimmten «vereinbarten Gebieten» im Norden für amerikanische Soldaten zuständig ist, die ausserhalb des Stützpunktes eines Verbrechens beschuldigt werden, sowie für norwegische Bürger, die beschuldigt oder verdächtigt werden, die Arbeit auf dem Stützpunkt zu stören.

Norwegen als verlässlichen Partner

Norwegen war einer der Erstunterzeichner des Nato-Vertrags im Jahr 1949, in den frühen Tagen des Kalten Krieges. Heute ist der Generalsekretär der Nato Jens Stoltenberg, ein überzeugter Antikommunist, der acht Jahre lang als norwegischer Ministerpräsident diente, bevor er 2014 mit amerikanischer Unterstützung auf seinen hohen Nato-Posten wechselte. Er ist ein Hardliner in Sachen Putin und Russland und hat seit dem Vietnamkrieg mit den amerikanischen Geheimdiensten zusammengearbeitet. Seitdem hat man ihm voll und ganz vertraut. «Er ist der perfekte Handschuh, für die amerikanische Hand», sagte die Quelle.

Zurück in Washington wussten die Planer, dass sie nach Norwegen gehen mussten. «Sie hassten die Russen, und die norwegische Marine war voller hervorragender Seeleute und Taucher, die seit Generationen Erfahrung in der hochprofitablen Tiefsee-Öl- und Gasexploration hatten», sagte die Quelle. Ausserdem konnte man darauf vertrauen, dass sie die Mission geheim halten würden. (Die Norweger könnten auch andere Interessen gehabt haben. Die Zerstörung von Nord Stream – falls die Amerikaner es schaffen sollten – würde es Norwegen ermöglichen, weitaus mehr eigenes Erdgas nach Europa zu verkaufen.)

Irgendwann im März flogen einige Mitglieder des Teams nach Norwegen, um sich mit dem norwegischen Geheimdienst und der Marine zu treffen. Eine der wichtigsten Fragen war, wo genau in der Ostsee der beste Ort für die Anbringung des Sprengstoffs ist. Nord Stream 1 und 2, die jeweils über zwei Pipelines verfügen, waren auf ihrem Weg zum Hafen von Greifswald im äussersten Nordosten Deutschlands grösstenteils etwa eine Meile voneinander entfernt.

Die norwegische Marine fand schnell die richtige Stelle in den flachen Gewässern der Ostsee, nur wenige Meilen vor der dänischen Insel Bornholm. Die Pipelines verliefen in einem Abstand von mehr als einer Meile entlang eines Meeresbodens, der nur 260 Fuss [80 Meter] tief war. Das wäre in Reichweite der Taucher, die von einem norwegischen Minenjäger der Alta-Klasse aus mit einem Gemisch aus Sauerstoff, Stickstoff und Helium aus ihren Tanks tauchen und geformte C4-Ladungen an den vier Pipelines mit einer Beton Schutzhülle anbringen sollten. Es sei eine mühsame, zeitraubende und gefährliche Arbeit, aber die Gewässer vor Bornholm hatten einen weiteren Vorteil: Es gab keine grösseren Gezeitenströmungen, die das Tauchen erheblich erschwert hätten.

Nach ein paar Nachforschungen waren die Amerikaner damit einverstanden.

US-Tiefseetaucher sind Spezialisten der Minenkriegsführung

An diesem Punkt kam wieder einmal die obskure Tiefseetauchergruppe der Marine in Panama City ins Spiel. Die Tiefseeschulen in Panama City, deren Auszubildende an den Ivy Bells teilnahmen, werden von den Elite-Absolventen der Marineakademie in Annapolis als unerwünschter Nebenschauplatz betrachtet, da sie in der Regel den Ruhm anstreben, als Navy Seals, Kampfpilot oder U-Bootfahrer eingesetzt zu werden. Wenn man ein «Black Shoe» werden muss, d. h. ein Mitglied des weniger begehrten Überwasserschiffkommandos, gibt es immer mindestens einen Dienst auf einem Zerstörer, Kreuzer oder Amphibienschiff. Am wenigsten glamourös ist die Minenkriegsführung. Ihre Taucher erscheinen nie in Hollywood-Filmen oder auf den Titelseiten populärer Zeitschriften.

«Die besten Taucher mit Tieftauchqualifikationen sind eine enge Gemeinschaft, und nur die allerbesten werden für den Einsatz rekrutiert und darauf hingewiesen, dass sie sich darauf einstellen müssen, zur CIA nach Washington gerufen zu werden», so die Quelle.

Die Norweger und Amerikaner hatten einen Ort und die Agenten, aber es gab noch eine weitere Sorge: Jede ungewöhnliche Unterwasseraktivität in den Gewässern vor Bornholm könnte die Aufmerksamkeit der schwedischen oder dänischen Marine auf sich ziehen, die darüber berichten könnten.

Dänemark gehörte ebenfalls zu den ursprünglichen Nato-Unterzeichnern und war in Geheimdienstkreisen für seine besonderen Beziehungen zum Vereinigten Königreich bekannt. Schweden hatte einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Nato gestellt und sein grosses Geschick bei der Verwaltung seiner Unterwasserschall- und Magnetsensorsysteme unter Beweis gestellt, mit denen es erfolgreich russische U-Boote aufspürte, die gelegentlich in den entlegenen Gewässern der schwedischen Schären auftauchten und an die Oberfläche gezwungen wurden.

Die Norweger schlossen sich den Amerikanern an und bestanden darauf, dass einige hochrangige Beamte in Dänemark und Schweden in allgemeiner Form über mögliche Tauchaktivitäten in dem Gebiet unterrichtet werden mussten. Auf diese Weise konnte jemand von höherer Stelle eingreifen und einen Bericht aus der Befehlskette heraushalten, wodurch die Pipeline-Operation isoliert wurde. «Was ihnen gesagt wurde und was sie wussten, war absichtlich unterschiedlich», sagte die Quelle (die norwegische Botschaft, die um einen Kommentar zu dieser Geschichte gebeten wurde, hat nicht geantwortet).

Die Norweger waren der Schlüssel zur Überwindung anderer Hürden. Es war bekannt, dass die russische Marine über eine Überwachungstechnologie verfügte, die in der Lage war, Unterwasserminen aufzuspüren und auszulösen. Die amerikanischen Sprengsätze mussten so getarnt werden, dass sie für das russische System als Teil des natürlichen Hintergrunds erscheinen würden – was eine Anpassung an den spezifischen Salzgehalt des Wassers erforderte. Die Norweger hatten eine Lösung.

Nato-Übung als ideale Tarnung

Die Norweger hatten auch eine Lösung für die entscheidende Frage, wann die Operation stattfinden sollte. Seit 21 Jahren veranstaltet die amerikanische Sechste Flotte, deren Flaggschiff in Gaeta (Italien) südlich von Rom stationiert ist, jedes Jahr im Juni eine grosse Nato-Übung in der Ostsee, an der zahlreiche Schiffe der Alliierten aus der gesamten Region teilnehmen. Die aktuelle Übung, die im Juni stattfinden soll, wird als Baltic Operations 22 oder BALTOPS 22 bezeichnet. Die Norweger schlugen vor, dies sei die ideale Tarnung für das Verlegen der Minen.

Die Amerikaner steuerten ein entscheidendes Element bei: Sie überzeugten die Planer der Sechsten Flotte, eine Forschungs- und Entwicklungsübung in das Programm aufzunehmen. An der Übung, die von der Marine bekannt gegeben wurde, war die Sechste Flotte in Zusammenarbeit mit den «Forschungs- und Kriegsführungszentren»« der Marine beteiligt. Bei der Übung, die vor der Küste der Insel Bornholm stattfinden sollte, sollten Nato-Taucherteams Minen verlegen, während die konkurrierenden Teams die neueste Unterwassertechnologie einsetzten, um die Minen zu finden und zu zerstören.

Es handelte sich um eine nützliche Übung und gleichzeitig um eine raffinierte Tarnung. Die Jungs aus Panama City würden ihre Arbeit tun, und die C4-Sprengsätze würden bis zum Ende von BALTOPS 22 an Ort und Stelle sein, mit einem 48-Stunden-Timer versehen. Alle Amerikaner und Norweger würden bei der ersten Explosion schon lange weg sein.

Die Tage zählten herunter. «Die Uhr tickte, und wir waren kurz davor, die Mission zu erfüllen», sagte die Quelle.

Änderung in letzter Minute

Und dann: Washington überlegte es sich anders. Die Bomben würden immer noch während BALTOPS gelegt werden, aber das Weisse Haus befürchtete, dass ein Zeitfenster von zwei Tagen für ihre Detonation zu kurz vor dem Ende der Übung sein würde, und es wäre offensichtlich, dass Amerika involviert war.

Stattdessen hatte das Weisse Haus eine neue Anfrage: «Können sich die Jungs vor Ort etwas einfallen lassen, um die Pipelines später auf Kommando zu sprengen?»

Einige Mitglieder des Planungsteams waren verärgert und frustriert über die scheinbare Unentschlossenheit des Präsidenten. Die Taucher in Panama City hatten wiederholt geübt, C4 an den Pipelines anzubringen, wie sie es bei BALTOPS tun würden, aber nun musste das Team in Norwegen einen Weg finden, um Biden zu geben, was er wollte – die Möglichkeit, einen erfolgreichen Ausführungsbefehl zu einem Zeitpunkt seiner Wahl zu erteilen.

Mit einer willkürlichen Änderung in letzter Minute beauftragt zu werden, war etwas, womit die CIA vertraut war. Allerdings wurden dadurch auch die Bedenken einiger Beteiligter hinsichtlich der Notwendigkeit und Rechtmässigkeit der gesamten Operation erneuert.

Geschichtliches zur CIA

Die geheimen Befehle des Präsidenten erinnerten auch an das Dilemma der CIA in der Zeit des Vietnamkriegs, als Präsident Johnson angesichts der wachsenden Anti-Vietnamkriegsstimmung der Agentur befahl, gegen ihre Charta zu verstossen, die es ihr ausdrücklich untersagte, innerhalb Amerikas zu operieren, indem sie führende Kriegsgegner ausspionierte, um festzustellen, ob sie vom kommunistischen Russland kontrolliert wurden.

Die Agentur willigte schliesslich ein, und in den 1970er Jahren wurde deutlich, wie weit sie bereit war zu gehen. Nach den Watergate-Skandalen enthüllten die Zeitungen, dass die Agentur amerikanische Bürger ausspionierte, an der Ermordung ausländischer Führer beteiligt war und die sozialistische Regierung von Salvador Allende untergrub.

Diese Enthüllungen führten Mitte der 1970er Jahre zu einer Reihe dramatischer Anhörungen im Senat unter der Leitung von Frank Church aus Idaho, bei denen deutlich wurde, dass Richard Helms, der damalige Direktor der CIA, seine Verpflichtung, die Wünsche des Präsidenten zu erfüllen, akzeptierte, auch wenn dies einen Verstoss gegen das Gesetz bedeutete.

In einer unveröffentlichten Zeugenaussage hinter verschlossenen Türen erklärte Helms reumütig, dass «man fast eine ‹unbefleckte Empfängnis› hat, wenn man etwas auf geheime Anweisung eines Präsidenten tut». «Ob es nun richtig oder falsch ist, die CIA arbeitet nach anderen Regeln und Grundregeln als jeder andere Teil der Regierung». Damit erklärte er den Senatoren, dass er als Chef der CIA für die ‹Krone› und nicht für die Verfassung arbeite.

Die Amerikaner, die in Norwegen im Einsatz waren, arbeiteten mit der gleichen Dynamik und begannen pflichtbewusst mit der Arbeit am neuen Problem – der Fernzündung des C4-Sprengstoffs auf Bidens Befehl. Es war eine viel anspruchsvollere Mission, als das, was sich die Leute in Washington vorstellten. Das Team in Norwegen hatte keinerlei Kenntnis davon, wann der Präsident den Knopf drücken würde. Würde es in ein paar Wochen, in einigen Monaten oder in einem halben Jahr oder länger sein?

Probleme mit der Fernzündung

Das an den Pipelines angebrachte C4 würde durch eine kurzfristig von einem Flugzeug abgeworfene Sonarboje ausgelöst werden, aber das Verfahren erforderte den Einsatz der modernsten Signalverarbeitungstechnologie. Einmal vor Ort eingebracht, könnten die an jeder der vier Pipelines angebrachten Zeitverzögerungsgeräte versehentlich durch die komplexe Mischung von Meeresgeräuschen in der stark befahrenen Ostsee ausgelöst werden – durch nahe und entfernte Schiffe, Unterwasserbohrungen, seismische Ereignisse, Wellen und sogar Meerestiere. Um dies zu vermeiden, würde die Sonarboje, sobald sie an Ort und Stelle ist, eine Abfolge einzigartiger tieffrequenter Töne aussenden – ähnlich denen einer Flöte oder eines Klaviers –, die vom Zeitmessgerät erkannt und nach einer voreingestellten Verzögerung von mehreren Stunden den Sprengstoff auslösen würde.

«Sie wollen ein Signal, das robust genug ist, damit kein anderes Signal versehentlich einen Impuls senden kann, der den Sprengstoff zünde», erklärte mir Dr. Theodore Postol, emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und nationale Sicherheitspolitik am MIT. Postol, der als wissenschaftlicher Berater des Chefs der Marineoperationen im Pentagon tätig war, sagte, das Problem, dem sich die Gruppe in Norwegen wegen Bidens Verzögerung gegenübersieht, sei eine Frage des Zufalls: «Je länger der Sprengstoff im Wasser ist, desto grösser ist das Risiko eines zufälligen Signals, das die Bomben auslöst».

Am 26. September 2022 warf ein P8-Ü berwachungsflugzeug der norwegischen Marine bei einem scheinbaren Routineflug eine Sonarboje ab. Das Signal breitete sich unter Wasser aus, zunächst zu Nord Stream 2 und dann zu Nord Stream 1. Wenige Stunden später wurde der C4-Hochleistungssprengstoff ausgelöst und drei der vier Pipelines wurden ausser Betrieb gesetzt. Innerhalb weniger Minuten konnte man sehen, wie sich Methangas, das in den stillgelegten Pipelines verblieben war, an der Wasseroberfläche ausbreitete, und die Welt erfuhr, dass etwas Unumkehrbares geschehen war.

Nachtrag

Unmittelbar nach dem Bombenanschlag auf die Pipelines behandelten die amerikanischen Medien den Vorfall wie ein ungelöstes Rätsel. Russland wurde wiederholt als wahrscheinlicher Schuldiger genannt, angestachelt durch kalkulierte Indiskretionen aus dem Weissen Haus – ohne jemals ein klares Motiv für einen solchen Akt der Selbstsabotage zu finden, das über einfache Vergeltung hinausgeht.

Als sich einige Monate später herausstellte, dass die russischen Behörden in aller Stille Kostenvoranschläge für die Reparatur der Pipelines eingeholt hatten, bezeichnete die New York Times diese Nachricht als «eine Komplikation der Theorien darüber, wer hinter dem Anschlag steckt». Keine grosse amerikanische Zeitung ging auf die früheren Drohungen gegen die Pipelines ein, die von Biden und Staatssekretärin Nuland ausgesprochen worden waren.

Während nie klar war, warum Russland versuchen sollte, seine eigenen lukrativen Pipelines zu zerstören, kam eine aufschlussreichere Begründung für die Aktion des Präsidenten von Aussenminister Blinken. Auf einer Pressekonferenz im vergangenen September zu den Folgen der sich verschärfenden Energiekrise in Westeuropa befragt, beschrieb Blinken den Moment als einen potenziell guten:

«Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin die Waffe der Energie als Mittel zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne zu entziehen. Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre, aber in der Zwischenzeit sind wir entschlossen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass die Folgen all dessen nicht von den Bürgern in unseren Ländern oder in der ganzen Welt getragen werden.»

Kürzlich äusserte sich Victoria Nuland erfreut über das Scheitern der jüngsten der beiden Pipelines. Bei einer Anhörung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats Ende Januar sagte sie zu Senator Ted Cruz,

«Wie Sie bin auch ich, und ich denke auch die Regierung, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie Sie sagen, ein grosser Haufen Metall auf dem Meeresgrund ist.»

Die Quelle sah Bidens Entscheidung, mehr als 1500 Meilen der Gazprom-Pipeline zu sabotieren, während der Winter näher rückte, wesentlich nüchterner. «Nun», sagte er über den Präsidenten, «ich muss zugeben, der Kerl hat Eier. Er hat gesagt, er würde es tun, und er hat es getan».

Auf die Frage, warum die Russen seiner Meinung nach nicht reagiert haben, antwortete er zynisch: «Vielleicht wollen sie die Möglichkeit haben, dasselbe zu tun, was die USA getan haben.»

«Es war eine gelungene Tarngeschichte», fuhr er fort. «Dahinter steckte eine verdeckte Operation, bei der Experten vor Ort eingesetzt wurden und Geräte, die mit einem verdeckten Signal arbeiteten. Der einzige Makel war die Entscheidung, es zu tun.»

Quelle: https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream, 8. Februar 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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