Grossbritannien will Julian Assange ausliefern

Nils Melzer mit Oliver Kobold, Der Fall Julian Assange.
Geschichte einer Verfolgung, München 2021.
ISBN 978-3-492-07076-8

Grundsätzliches Versagen westlicher Rechtsstaaten. Zivilgesellschaft entsetzt über Regierungsverhalten

von Robert Seidel

(30. Dezember 2021) Das Unfassbare soll wahr werden. Nach über 10 Jahren Justizskandalen, Vertuschungen, Verschleppungen, Isolationshaft, internationalen geheimen Absprachen unter westlichen Regierungen hat es die geballte Macht der USA geschafft, den mutigen und engagierten Investigativ-Journalisten Julian Assange nun einem unfairen und alle rechtstaatlichen Normen missachtenden Verfahren in den USA zuzuführen. Was ihn in den USA erwartet, ist weltweit bekannt: keine Gerechtigkeit, sondern schlecht kaschierte Rache. Rache wofür?

Rache an Assange

Julian Assange hat mit Wikileaks Kriegsverbrechen und widerrechtliches Regierungshandeln in grossem Stil aufgedeckt. Durch seine veröffentlichten Dokumente wurden Misshandlungen und grobe Verstösse gegen internationales Recht bekannt. Ausserdem deckte er den willkürlichen Umgang mächtiger Staaten mit kleineren Staaten auf. Seine Veröffentlichungen riefen weltweite Betroffenheit hervor.

Nun soll ein Exempel an ihm statuiert werden: Wer es wagt, schmutzige Wahrheiten bekannt zu machen, der soll mit dem sozialen Tod durch lebenslange Haft bestraft werden – auch wenn er redlich gehandelt hat.

Ein Exempel soll statuiert werden

Es lohnt sich die Vorgeschichte kurz ins Gedächtnis zu holen. Dies tut der Rechtsprofessor und UNO-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, 2021 in seinem Buch, «Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung».

Seit über 10 Jahren wird Julian Assange unter folterartigen Bedingungen ohne faires rechtstaatliches Verfahren gefangen gehalten, zurzeit in Isolationshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis in Grossbritannien.

Der Fall Assange spielt sich nicht in einer Diktatur ab, sondern mitten im freien Westen, genauer in Staaten, die von sich selbst behaupten, 1A-Top-Demokratien mit Vorzeige-Rechtstaat zu sein: Grossbritannien, Schweden sowie USA.

Assange war mit seinen Veröffentlichungen in Wikileaks bis ins Jahr 2010 eine Ikone für einen neuen investigativen Journalismus, der schonungslos grosse und grösste Verbrechen aufdeckte. Geheime Dokumente, die ihm Whistleblower zukommen liessen, veröffentlichte er auf Wikileaks.

Mit hellem Entsetzen musste man die grausamen Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak zur Kenntnis nehmen. Ausserdem wurde bekannt, wie man in der US-Diplomatie über die Köpfe andere Staaten hinweg agierte. Die Empörung in der Öffentlichkeit der einzelnen Länder war gross, doch die Regierungen – wahrscheinlich am US-amerikanischen Gängelband – liessen die mutmasslichen Vergehen verjähren. Nicht nur dies.

Folterartige Bedingungen

Wie Melzer in seinem Buch beschreibt, wurde Assange – vermutlich auf Betreiben der USA – in Schweden und Grossbritannien juristisch angegangen. Schliesslich floh er in London in die equadorianische Botschaft, in der er 7 Jahre lang notdürftig auf winzigem Raum Asyl fand. Mit dem Regierungswechsel in Equador –, hin zu einer US-freundlichen Regierung –, wurde er 2019 aus der Botschaft gemobbt. Wie in einem lang geübten Theaterstück führte die britische Polizei Assange von der Botschaft weg ab. Wegen eines Bagatellvergehens wurde er direkt in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gesperrt – zudem in Isolationshaft, entgegen aller internationalen Abkommen.

Dort besuchte Nils Melzer, der inzwischen auf den Fall aufmerksam gemacht wurde, Assange als UNO-Sonderberichterstatter über Folter. Melzer musste wegen des Gesundheitszustands von Assange Alarm schlagen, wie es seiner Aufgabe entspricht. Und – von einem Gerichtsverfahren, welches minimalsten rechtstaatlichen Ansprüchen genügen könnte, keine Spur – und dies in Grossbritannien! Melzer forderte Grossbritannien, Schweden und die USA mehrfach auf, die internationalen Vereinbarungen über Folter und über Rechtstaatlichkeit einzuhalten. Doch bisher geschah das Gegenteil.

Staatliche Willkür im Westen

Wegen des Verhaltens der Regierungen Grossbritanniens, Schwedens und der USA kommt man nicht umhin, von staatlicher Willkür zu sprechen. Jede Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett geht verloren.

Wenn heute von Menschrechten gesprochen wird, müssen die Vertreter der westlichen Regierungen beschämt ihre Augen senken und hoffen, dass sie nicht auf ihr Verhalten hin angesprochen werden. Die Öffentlichkeit wartet auf den engagierten und mutigen Einsatz ihrer Regierungen zur Aufklärung dieses Falles: für Menschenrechte und gegen Folter. Erwartet wird eine objektive genaue Aufarbeitung der Vorgänge um die Person Assanges in Schweden, Grossbritannien und den USA.

Kampf um Menschenrechte

Worum ging es im Fall Assange eigentlich? Um Recht? Um Gerechtigkeit? Wohl kaum. Doch wohl mehr darum: Wer es wagt, von Regierungen tolerierte Verbrechen aufzudecken, soll sehen, was ihm – und auch ihr –blühen wird. Ein Riesenschritt zurück in der Menschheitsgeschichte, zurück hinter die minimalsten Menschenrechte, zurück in die Zeiten des Absolutismus.

Das kann nicht toleriert werden. Assange muss in Europa bleiben und einem fairen rechtstaatlichen Verfahren zugeführt werden.

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