Der langsame Niedergang der Schweizer Diplomatie
Aber alle Hoffnung ist nicht verloren
von Guy Mettan*, Genf
(21. März 2025) Da es ihr nicht gelungen ist, einen Konsens zu erzielen, musste die Schweiz die Organisation des humanitären Gipfeltreffens zu Palästina aufgeben. Wann wird sie endlich begreifen, dass man das internationale Genf und den Schweizer Vermittlungsplatz nicht retten kann, indem man herumhüpft und «Multilateralismus! Multilateralismus!» schreit und ein paar Millionen aus der Tasche zieht, um leichtsinnige NGOs zu retten?

(Bild zvg)
Die Aufregung in Europa über den Niedergang der USAID, die plötzliche Wiederaufnahme des russisch-amerikanischen Dialogs und die Äusserungen von Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz sind nur Symptome tieferer Übel und einer Entwicklung des internationalen Systems, die niemand bei uns wahrhaben will. Solange wir keine Bereitschaft zeigen, den Tatsachen ins Auge zu sehen und unsere Fehler zu korrigieren, werden alle Reparaturversuche, die wir unternehmen, um ein grundlegend marodes System zu reparieren, nutzlos sein.
Wie beim Mikado-Spiel blinzelt Bern, bewegt sich aber nicht. Frau Keller-Sutter gab vor, die Rede von JD Vance gut zu finden, ruderte aber sofort wieder zurück. Dann wiederholte sie die alten Leier über die Ukraine und Europa, wobei sie sich wie eine Katze auf glühender Kohle über die konservative Trump-Revolution, das Erstarken des globalen Südens und die neue Weltordnung, die das Völkerrecht aufgibt und zur Konfrontation der Reiche zurückkehrt. Währenddessen schweigt unser sogenannter Aussenminister.

Hintergrund. (Bild zvg)
So bleibt man auf die Vergangenheit fokussiert, nämlich auf die UNO, die internationalen Organisationen und die traditionellen NGOs. Seit Kofi Annan die Vereinten Nationen Ende der 1990er Jahre für die Zivilgesellschaft geöffnet hat, haben diese sich immer weiter ausgebreitet. Sie haben sich mit öffentlichen Subventionen und privaten Spenden gesättigt. Viele von ihnen haben ihre Seele verkauft, entweder an die Regierungen, die sie gesponsert haben, wie die abstrusen Programme zeigen, die die USAID schliesslich finanziert hat (queere Opern in Kolumbien und Transgender-Ballett in Bangladesch, während ein paar hundert Meter entfernt Menschen verhungern), oder an private «Philanthropen» wie Bill Gates, deren Gelder Impfkampagnen zugunsten der Unternehmen finanzieren, deren Aktionäre sie sind.
Das IKRK, das unter der Ära Peter Maurer selbst von Hybris heimgesucht wurde, erlebte vor zwei Jahren ebenfalls ein solches Missgeschick. Das Geld kommt, das Budget wächst, so dass die Mittelbeschaffung schliesslich die Mission und die Hilfe für die Opfer überwiegt. Bis zum Absturz.
Und man zieht es vor, die wahre Modernität zu ignorieren, nämlich die Neutralität, die die Stärke und Originalität unseres Landes auf der internationalen Bühne ausmachte. Neutralität ist nicht dieses Altmodische, das man wegwerfen sollte, wie manche glauben. Es ist ein Vorteil von strahlender Modernität, den Länder wie die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die sich strikt nicht an die Grossmächte anpassen, zu ihrem grössten Vorteil übernommen haben. Seit drei Jahren drängen sie sich von allen Seiten, weil sie nicht den Fehler begangen haben, ein Friedensgipfeltreffen zur Ukraine ohne Russland zu organisieren oder willkürlich Sanktionen gegen den halben Planeten zu verhängen. Wie kann man sich nach solchen Einseitigkeiten empören, wenn Donald Trump Friedensgespräche mit Russland ohne Europa organisiert?

General Guisan (1874–2024) und das Schweizer Volk
Die Schweiz feierte 2024 den 150. Geburtstag von Henri Guisan (1874–1960). In einer vergesslichen, um nicht zu sagen amnesiebehafteten Zeit erinnert das vorliegende Buch an das, was Henri Guisan während des Krieges 1939–1945 und der allgemeinen Mobilmachung für das Land verkörperte, nämlich den Widerstandsgeist in verschiedenen Formen eines kleinen neutralen Landes, das von einer furchterregenden national-sozialistischen Diktatur im Norden und einer faschistischen Diktatur im Süden umgeben war.
Darüber hinaus ein Land, dessen potenzieller Verbündeter im Westen, Frankreich, innerhalb weniger Wochen von den Armeen der deutschen Diktatur besiegt wurde.
In seinem Vorwort zeigt der Autor Jean-Jacques Langendorf auf, wie sich die Weltlage und damit auch die Lage der Schweiz in den letzten Jahren verdüstert hat und wie notwendig es ist, sich wieder auf den «Geist von Guisan» zu besinnen, den Wilhelm I. von Oranien-Nassau in seinem schönen Motto zusammenfasst: «Es braucht kein Hoffen, um zu handeln, und kein Erfolg, um dranzubleiben.»
Dieses willkommene Buch erinnert an diese wichtige Periode der Schweizer Geschichte, porträtiert einen aussergewöhnlichen Mann (der auch 2022 noch die beliebteste Schweizer Persönlichkeit war) in einem Land, das am Abgrund stand – und stellt eine wichtige Frage: Welchen Guisan haben wir heute, angesichts der Herausforderungen unserer Zeit?
Es ist kaum bekannt, aber es war der Bundesrat selbst, der die Initiative ergriff und die NATO aufforderte, eine Vertretung im «Haus des Friedens» in Genf zu eröffnen. Im Gegenzug wurde gefordert, dass die Schweiz den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen nicht ratifiziert, obwohl sie ihn unterzeichnet hatte! Wie können wir nach einer solchen Untat noch an unseren Pazifismus und unsere Neutralität glauben?
Heute will man sowohl in Bern als auch in Genf die Schäden nicht sehen, die im Februar 2022 durch den faktischen Verzicht auf die Neutralität, die Verhängung einseitiger Sanktionen und die Annäherung an die Nato, diese bellizistische und kriminelle Organisation, die Serbien 1999 illegal bombardiert und Dutzende unschuldiger Zivilisten massakriert hat, angerichtet wurden.
Man leugnet es weiterhin. Doch es genügt, irgendwohin in der Welt zu reisen – natürlich ausserhalb des Westens –, nach Peking, Brasilia, Afrika oder Jakarta, um zu erkennen, dass der Schaden immens ist und unser diplomatisches Ansehen sowie die Glaubwürdigkeit unserer Banken schwer beschädigt wurden, die aus Angst vor Sanktionen der USA regelrechte Säuberungsaktionen durchgeführt haben.
Erinnern wir uns auch daran, dass Neutralität eine anspruchsvolle Disziplin ist, die sowohl für die Ukraine als auch für Palästina gilt. Die Tatsache, dass die Schweiz, die Hüterin der Genfer Konventionen und des Völkerrechts ist, vorgibt, diese in der Ukraine anzuwenden, sie aber in Palästina mit Füssen tritt, indem sie das Massaker an Zehntausenden von Frauen und Kindern in Gaza toleriert und die UNWRA sanktioniert, ist auch ausserhalb des Westens nicht unbemerkt geblieben.
Das dritte Problem hängt mit der Entwicklung der internationalen Ordnung zusammen, mit der Erosion des Systems der Vereinten Nationen und der kollektiven Sicherheit, die Roosevelt 1945 wollte und die durch den Sicherheitsrat mit seinen fünf ständigen Mitgliedern verkörpert wurde, von denen zwei, Frankreich und Grossbritannien, ihre Legitimität verloren haben.
Das Aufkommen der BRICS-Staaten und des globalen Südens, der Aufstieg Chinas und bald auch Indiens, die Betonung der Multipolarität durch die gesamte nicht-westliche Welt sind nun unausweichlich. In München schenkte niemand den Reden der indischen und chinesischen Minister Beachtung, obwohl sie von entscheidender Bedeutung waren. Es ist ein unumkehrbares Phänomen, mit oder ohne Trump, der daran nichts ändern kann. China, Russland, Indien, Indonesien, Brasilien, um nur die grössten zu nennen, haben sich an den Tisch der Weltpolitik gesetzt und werden ihn nicht mehr verlassen.
Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft hat sich ebenfalls zu ihren Gunsten verschoben. Die Politik folgt. Man kann darüber trauern. Man kann sie beschimpfen, sie als Faschisten, Autokraten, Kommunisten bezeichnen. Aber man wird sich damit abfinden müssen.
Die Amerikaner tun dies auf ihre eigene, brutale und egozentrische Art. Aber wir haben andere Waffen.
Es ist an der Zeit, dass die Schweiz sich wieder auf ihre Stärken besinnt, sich auf ihre Grundlagen stützt und proaktiv mit den neuen aufstrebenden globalen Kräften zusammenarbeitet. Es ist noch nicht alles verloren.
* Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments. |