«Die physikalischen Grenzen von Wind und Sonne lassen sich mit Gesetzen nicht aushebeln»

von Ueli Gubler*

(10. Mai 2024) (CH-S) Am 9. Juni 2024 findet eine eidgenössische Volksabstimmung zu vier Vorlagen statt. In den ersten drei Vorlagen geht es um einen Entscheid zu drei Volksinitiativen zu Themen aus dem Gesundheitswesen.

Ueli Gubler.
(Bild zvg)

In der vierten Vorlage geht es um die Annahme oder Ablehnung des vom Parlament im Herbst 2023 verabschiedeten «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien». Ein Komitee hat gegen dieses Gesetz das Referendum ergriffen und in drei Monaten die notwendigen 50 000 Unterschriften gesammelt. Deshalb steht dieses Bundesgesetz nun zur Abstimmung.

Ueli Gubler hat sich mit dem Inhalt dieses Gesetzes zur «sicheren Stromversorgung» auseinandergesetzt und legt seine Überlegungen für den «Schweizer Standpunkt» in folgendem Artikel dar.

* * *

Ist das vorgesehene Stromversorgungsgesetz in der Lage, die technischen Mängel der Energiewende zu korrigieren oder gar zu verhindern?

Die Grundlage des neuen Gesetzes ist die Energiestrategie 2050, welche 2017 vom Stimmvolk angenommen wurde. Die wichtigsten Ziele sind: Der Ausstieg aus der Kernkraft, der Ausbau erneuerbarer Energien, die Steigerung der Energieeffizienz.

Die Schweiz soll sich innert 30 Jahren mit erneuerbaren Energien versorgen können. Konkret heisst dies, weg von den fossilen Brennstoffen (Benzin, Diesel, Heizöl und Gas), und Ersatz durch Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie.

Das nun zur Diskussion stehende neue Gesetz ist der erste Schritt zur Umsetzung der Energiestrategie 2050. Um sich in all den Berichten und Vernehmlassungen zurechtzufinden, sind einige Begriffe zu klären und zu erklären (siehe Kasten).

Begriffsklärungen

Leistung:

In der Energieversorgung wird dieser Begriff nicht wie im Alltag verwendet. Man versteht bei der Stromversorgung unter der Leistung das Leistungsvermögen. Ein grosser Kran hat das grössere Leistungsvermögen als ein kleiner. Das sagt jedoch noch nichts aus über die Anzahl der Lasten, die er innerhalb einer bestimmten Zeit angehoben hat. Bei einem Automotor entspricht das der PS-Zahl. Beim Strom spricht man von: Kilowatt (kW), Megawatt (MW), Gigawatt (GW) usw.

Strommenge:

Wird eine Leistung eine gewisse Zeit in Anspruch genommen, so ergibt das die Strommenge (oder den Arbeitsstrom), die der Stromzähler misst und die wir in Rechnung gestellt bekommen. Beispiel: Ein Kilowatt während einer Stunde genutzt, ergibt eine Kilowattstunde (1 kWh).

Masseinheiten:

Die Grundeinheit für Strom ist Watt. Multipliziert mit dem Faktor 1000 erhält man Kilowatt. Die nächsten Schritte sind Megawatt, Gigawatt und Terrawatt (1 000 000 000 000 Watt). Für einen Haushalt ist die Masseinheit Kilowatt angemessen, für die Stromversorgung eines Landes ist es Gigawatt (GW) oder Terrawatt (TW; 1 TW = 1000 GW).

Der Energiebedarf der Schweiz (fossile Brennstoffe + Strom)

Der gesamte Energiebedarf des Landes beträgt 191 000 GWh. Davon sind 20 000 GWh Atomstrom und 130 000 GWh liefern die fossilen Brennstoffe. Es gilt also langfristig 150 000 GWh durch alternative Energieträger zu ersetzen. Die restlichen 41 000 GWh liefert hauptsächlich die Wasserkraft, sowie zu einem kleinen Teil Sonne und Wind.

Ein Windrad leistet 6–8 GWh pro Jahr, eine Solaranlage von 100 000 m2 23 GWh pro Jahr.

Es bräuchte also circa 20 000 Windräder oder 6500 Solaranlagen à 100 000 m2. Über den zusätzlichen Ausbau der Wasserkraft hält sich der Bund bedeckt. Es ist von 15 Projekten mit unbestimmter Kapazität die Rede. Entsprechend würde sich die Menge an Windrädern oder Solaranlagen reduzieren.

Von den 41 000 km2 Fläche der Schweiz sind für Windräder nur die Hälfte nutzbar. 50% sind topographisch nicht zugänglich oder Siedlungsgebiet. Das bedeutet, dass auf einen Quadratkilometer der noch nutzbaren Fläche ein Windrad zu stehe käme. Die 6500 Solaranlagen (650 km2) verteilt auf die 2100 Gemeinden der Schweiz, machen 3 Anlagen à 100 000 m2 pro Gemeinde. In der Praxis wird sich ein Mix aus Windrädern und Solaranlagen einstellen. Am erforderlichen Platzbedarf ändert das wenig. Eine Unzahl von Minisolaranlagen auf Dächern ist nur schwer regelbar. Der zufällig anfallende, erneuerbare Strom muss zentral und sekundengenau auf den Bedarf reguliert werden. Das ist mit einer unüberschaubaren Anzahl von Stromlieferanten nicht zu machen, bzw. schafft viel Verluste.

Aus dem Inhalt des zur Abstimmung gelangenden Bundesgesetzes

Wind- und Sonnenenergie

Bis 2035 sollen neu 35 TWh und bis 2050 45 TWh erneuerbare Energien (ohne Wasserkraft) geschaffen werden. Das wären 5000 Windräder bis 2035 oder 7000 bis 2050. Bezogen auf Solargrossanlagen sind dies 1520, bzw. 1950 Anlagen. Diskutiert wird die Pflicht für Solaranlagen ab einer gewissen Gebäudefläche.

Es soll vor allem die Solarenergie forciert werden. Man erhofft sich dort weniger Widerstand. Die Krux liegt darin, dass im Winter nur ein Fünftel der Sonnenenergie anfällt, verglichen mit dem Sommer. Die jährliche Sonnenscheindauer beträgt 1700 Stunden. Das sind 19% der Stunden eines Jahres. Dabei sollen die Staudämme und Speicherbecken ihre Produktion im Sommer zurückfahren, um im Winter die Löcher stopfen zu können. Dafür wurden die Wasserkraftwerke nicht gebaut. Staudämme und Pumpspeicherbecken haben verschiedene Aufgaben. Sie können nur in beschränktem Umfang gemeinsam genutzt werden. Pumpspeicherbecken gibt es erst deren drei mit einer nennenswerten Kapazität.

Ein Windrad pro Quadratkilometer auf den 20000 km2 der nutzbaren Fläche der
Schweiz? (Bild ETH Zürich)

Beschleunigte Bewilligungsverfahren

Produktionsanlagen ab einer bestimmten Grösse, werden als Objekt von «nationalem Interesse» eingestuft, ähnlich wie bei der Eisenbahn und den Autobahnen. Das bedeutet, dass der Naturschutz und die Einsprachemöglichkeiten eingeschränkt werden. Vorgesehen ist, Bewilligungsverfahren solcher Anlagen innerhalb von 6 Monaten abzuwickeln, um das Verschleppen über Jahre zu verhindern.

Effizienz

Die Energieeffizienz soll so weit vorangetrieben werden, dass sich der Pro-Kopf-Verbrauch gegenüber dem Jahr 2000 halbiert. Das ist in etwa so, wie wenn man das Monatsgehalt oder die Rente halbieren würde, ohne dass es auffällt. (!)

Wegen der Personenfreizügigkeit hat die Bevölkerung während der letzten 20 Jahre um eine Million zugenommen. Das sind rund 15%. Ein Ende der Zunahme ist nicht in Sicht und scheint kein Thema zu sein. Es wird schon eine ordentliche Anstrengung brauchen, um allein die permanente Bevölkerungszunahme zu kompensieren.

Wenn von der Energieeffizienz die Rede ist, spricht man nur vom Verbrauch, nicht jedoch von der Erzeugung. Wind- und Sonnenenergie haben eine tiefe Effizienz, vor allem dann, wenn sie einen wirksamen Faktor zu spielen beginnen. Es muss dann immer öfter korrigierend ins Netz eingegriffen werden. Jeder Zwischenschritt von der Produktion zum Abnehmer ist mit Verlusten verbunden. Zwischenschritte sind nötig, um den zufällig anfallenden Strom bedarfsgerecht zu machen. Der Umweg über ein Pumpspeicherbecken bewirkt einen Verlust von 50% und jener über den Wasserstoff von 80%. Das europäische Stromnetz hat einen Verlust von 30%. Batterien sind nur für Kleinbezüger eine Lösung.

Stromknappheit

Beim Planen von Massnahmen bei Stromknappheit tauchen Zweifel auf, ob das neue Bundesgesetz etwas zur «sicheren Energieversorgung mit Erneuerbaren» beiträgt. Mit dem Scheitern wird bereits gerechnet. Vertrauenswürdiger wäre es, ein Konzept auszuarbeiten, welches Notfallmassnahmen verhindert, so wie wir es seit der Einführung des Stromes vor 120 Jahren kennen.

Der Bund hat am 21. Februar 2024 ein Faktenblatt veröffentlicht, welches die «Massnahmen im Fall einer Strom-Mangellage» regelt. Vorgesehen sind je nach Mangellage: Sparappelle, Verwendungsbeschränkungen oder -verbote für nicht zwingend benötigte Geräte oder Anlagen, sowie Kontingentierung und Netzabschaltungen für einige Stunden. Das versprüht keine Zuversicht.

Netzausbau

Unerwähnt bleibt der Netzausbau. Werden die fossilen Brennstoffe durch Strom ersetzt, wächst die Strommenge um den Faktor 3 von 59 000 GWh auf 169 000 GWh. Das Stromnetz ist nicht auf diese Menge dimensioniert. Das wird nicht nur bei den Übertragungsleitungen spürbar sein, sondern vor allem in den Quartieren wegen der Wärmepumpen und Ladestationen für E-Autos.

Zur Verdeutlichung: Die Strom- und Strassennetze sind vergleichbar. Sie funktionieren tagsüber störungsfrei. Steigt der Verkehr zu den Randstunden (Werkverkehr) oder an Feiertagen (z.B. Ostern), kommt es zu Staubildungen. Setzen plötzlich Wind und Sonne ein, ohne entsprechenden Bedarf, kommt es zu Netzüberlastungen. Fahrzeuge können warten – Strom nicht. Er muss, wegen der fehlenden Speichermöglichkeiten, unverzüglich entsorgt werden. Dafür gibt Deutschland jährlich 4 Milliarden Euro aus.

Schlussfolgerungen

Zweifel sind angebracht, ob die Energiewende, die ideologisch erhofft, jedoch schlecht geplant ist, funktionieren kann. Weil noch in keinem Land weltweit die Energiewende nennenswerte Fortschritte machte, löste der Klimagipfel in Dubai vom Dezember 2023 unverhofft einen Boom auf die Kernkraft aus. Das hat man hierzulande nicht zur Kenntnis genommen.

Die physikalischen Grenzen von Wind und Sonne lassen sich mit Gesetzen nicht aushebeln, auch nicht mit einer Planwirtschaft.

  • Die unrealistisch grosse Anzahl an Windrädern und Solaranlagen wird zu Widerständen führen, die politisch nicht ohne weiteres gebrochen werden können. Gegen den Willen einer Mehrheit Projekte durchzuzwängen, wird zu politischen Spannungen führen. Das wirkt, ohne weiteres Dazutun, regulierend.
  • Positiv ist der Wille, die Wasserkraft neu zu beleben. Sie ist effektiv und bedarfsgerecht.
  • Positiv ist der Wille, die Einspracheverfahren zu vereinfachen. Über 30 privatrechtliche (nicht öffentlich-rechtliche) Organisationen haben schweizweit das Verbandsbeschwerderecht. Deren Vorstände können damit gegen den Willen der Bevölkerung vernünftige Projekte während Jahren verhindern.

Der Energiestrategie 2050 wurde im Jahr 2017 zugestimmt, unter anderem wegen dem Versprechen in der Abstimmungsbotschaft, dass die Energiewende für einen vierköpfigen Haushalt pro Jahr 40 Franken kosten werde.

Simonetta Sommaruga eröffnete 2021 den Abstimmungskampf zum CO2-Gesetz mit der Ankündigung, dass die Energiewende 100 Milliarden Franken kosten werde. Das sind 48 000 Franken pro Haushalt. Hätte man von Beginn an ehrlich informiert, wäre bereits die Energiestrategie 2050 verworfen worden. Es zeigt aber auch, dass man sich der Konsequenzen der Energiewende nicht bewusst war und noch immer nicht ist.

Der Titel des Gesetzes, «Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» ist eine Täuschung. Was wir bräuchten, ist ein klares Konzept, das aufzeigt, was konkret erstellt werden muss an Stromanlagen, an Speicherungen und im Netzausbau. Erst dann ist es sinnvoll, ein entsprechendes, zielgerichtetes Gesetz zu erlassen, sofern es dann noch erforderlich ist.

Deutschland ist seit 20 Jahren unser Vorreiter in Sachen Energiewende. Der Bundesrechnungshof hat am 7. März 2024 eine Pressemitteilung zum aktuellen Stand herausgegeben.1

Das Fazit des Berichtes trifft bereits ansatzweise auf die Schweiz zu:

«Hinzu kommen Wissenslücken über die Umweltwirkungen der Transformation und kein Konzept gegen hohe Strompreise. Zugleich fehlt ihr ein integriertes Monitoring der Energiewende, das alle energiepolitischen Ziele in den Blick nimmt.»

Noch sind wir nicht soweit – aber auf dem bestem Weg dazu.

* Ueli Gubler ist Ingenieur HTL und freischaffender Journalist. Er geht gerne Behauptungen und Mutmassungen auf den Grund. Als Ingenieur schaut er sich gewisse Gesetzmässigkeiten und Zahlen genau an.
Ueli Gubler, Lettenstrasse 23, 9507 Stettfurt |
ueli.gubler@outlook.com | 052 376 41 37

1 https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/energiewende.html

Weitere Artikel von Ueli Gubler:

https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-gesellchaft/die-energiekrise.html

https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-gesellchaft/windkraft-nur-heisse-luft.html

https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-gesellchaft/ueber-40-jahre-fehlprognosen.html

https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/ideologien-bringen-keine-loesungen.html

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