«Credit Suisse»

Eine Nachlese zum Ende der Party

Marc Chesney (Bild zvg)

Wenn man das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen möchte, muss man sie vor den Auswüchsen der Finanzwelt schützen

von Marc Chesney*

(18. April 2023) Die Lichter sind aus: Für die Credit Suisse ist die Party vorbei. Geschäftsleitungsmitglieder und Verwaltungsräte verlassen vorübergehend den gedämpften grünen Teppich der Casino-Finanzwelt. Sie tun es mit ernster Miene, vollen Taschen und leichtem Herzen. Das Äussern von Bedauern und Entschuldigungen ist aus gegebenem Anlass angebracht. Sie hätten ihr Bestes gegeben.

Dafür liessen sie sich fürstlich bezahlen.

Die Öffentlichkeit soll es glauben: Nur Pech, Gerüchte und sogar Verschwörungen aus dem Ausland seien ihrem Geschäftsmodell, ihrem geschickten Risikomanagement und ihrer Fähigkeit, «das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen», in die Quere gekommen.

Bis zum Überdruss wurde uns in letzter Zeit wiederholt eingebläut: Es brauche jetzt diese Unsummen, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen, das in letzter Zeit so sehr gefehlt und uns manchmal den Schlaf geraubt habe.

Doch das Vertrauen der Bürger und der Steuerzahlenden steht leider nicht auf der Agenda. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, muss man sie vor den Auswüchsen der Finanzwelt und ihren Pokerspielern schützen. Das jedoch steht nicht auf der Tagesordnung.

Gehen wir noch einmal auf die Chronologie der Ereignisse ein.

Rund 35 Jahre Finanz–Casino

Die Übernahme der First Boston durch die Credit Suisse im Jahr 1988 war der Start der Bank in die Liga der Casino-Finanzwelt mit gross angelegten Wetten. Ein Wechsel des Geschäftsmodells zeichnete sich ab. Statt einfach nur Zinsen für vergebene Kredite zu kassieren und Vermögen zu verwalten, wollte man sich auf Fusionen und Übernahmen sowie auf spekulative Derivatgeschäfte konzentrieren, die in riesigen Handelsräumen abgewickelt werden. Es ging darum, grosse Gewinne möglichst schnell zu realisieren. Allfällige grosse Risiken werden letztlich von den Steuerzahlenden getragen. Das neue Geschäftsmodell entwickelte sich weltweit rasant und wurde zum Massstab für alle Grossbanken.

15 Jahre bewusste Blindheit

Die Finanzkrise von 2008 und der Zusammenbruch der Bank Lehman haben den zerstörerischen und schädlichen Charakter dieses Modells deutlich aufgezeigt.

Ein Cocktail aus komplexen, toxischen und undurchsichtigen Finanzprodukten, eine enorme Verschuldung und groteske Vergütungen für die oberste Etage der Finanzinstitute und ihre Händler sowie gleichzeitig ein grenzenloser Zynismus haben das System an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.

Trotzdem schauten die meisten Politiker und Akademiker, die auf Finanz- und Wirtschaftsfragen spezialisiert sind, mit Scheuklappen weg. Sie vergassen, ihrer Pflicht nachzukommen und die Interessen der Steuerzahlenden und Bürger zu wahrzunehmen. So konnte die ungezügelte Finanzwelt zur Freude ihrer Lobbyisten weiterhin ungehindert ihre Geschäfte machen.

Bereits seit 2018 machte ich auf diese Probleme aufmerksam: Der Bankrott von Lehman Brothers sei der Bankrott eines Systems («Neue Zürcher Zeitung»). Die Finanzcasino-Mentalität sowie die Vergütungen der verantwortungslosen CS-Manager seien skandalös («Tages-Anzeiger»). Allein im Jahr 2020 habe der Nominalwert dieser komplexen Finanzprodukte, auch Derivate genannt, bei der CS etwa das 25-Fache des Schweizer Bruttoinlandprodukts ausgemacht!

Eine Woche der Panik

Vom 13. bis 19. März 2023 herrschten Verwirrung und Panik. Am 15. März beruhigten die Schweizerischen Nationalbank SNB und die Aufsichtsbehörde Finma und alle Medien verbreiteten es: «Die Credit Suisse erfüllt die Kapital- und Liquiditätsanforderungen an systemrelevante Banken.» Das hinderte die CS nicht daran, Stunden nach dieser beruhigenden Aussage trotzdem bei der Nationalbank einen Kredit von 50 Milliarden Franken zu beantragen, angeblich um die Finanzmärkte zu beruhigen. Die Beruhigung der Finanzmärkte hielt nur wenige Stunden an. 50 Milliarden waren offensichtlich nicht beruhigend genug.

Die Spekulanten auf den Finanzmärkten wollten mehr.

Zwei Tage, um eine Lösung zu finden

Unter dem Druck der US-Regierung, die eine weitere Ausbreitung des Dominoeffekts befürchtete, den der Zusammenbruch der Bank aus dem Silicon Valley ausgelöst hatte, wurde am Wochenende des 18. und 19. März in aller Eile und wenig transparent eine Lösung ausgeheckt: Die UBS kann die CS zu einem symbolischen Preis übernehmen. Man wandte sogar Notrecht an, um die wichtigsten vertraglichen Vereinbarungen geheim halten zu können.

Alle seit 2008 eingeführten Regulierungen – beispielsweise für ein Insolvenzverfahren unter Rettung des Schweizer Geschäfts – wurden ignoriert. Man schuf einen Koloss, der in Zukunft die Schweiz kontrollieren wird, anstatt von ihr kontrolliert zu werden. Die Bilanz dieser neuen UBS wird etwa das Zweieinhalbfache des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen, der Nominalwert der ausstehenden Derivate das 30- bis 40-Fache dieser Summe.

90 Minuten lang Kommunikationsübungen

Der letzte Akt war eine Farce, über die man lachen könnte, wenn sie nicht tragisch wäre. Sie bestand darin, dass die Hauptakteure dieser Affäre am gleichen Tisch zusammensassen. Es waren dieselben, die einige Tage zuvor noch erklärt hatten, dass die Credit Suisse die Kapital- und Liquiditätsanforderungen an systemrelevante Banken erfülle.

An der Pressekonferenz vom 19. März erklärten sie, dass die Übernahme die beste Lösung für die Schweiz sei, um das Vertrauen der Finanzmärkte wieder herzustellen.

Über den Fall der CS hinaus handelt es sich

  • um den Bankrott des Finanzsystems, das zu einem Casino geworden ist;
  • um das Versagen einer politischen Elite, die 15 Jahre lang alles geschehen liess;
  • um das Versagen der akademischen Welt in diesem Bereich, die eine unangebrachte Nachgiebigkeit gegenüber den Finanzinstitutionen an den Tag legte.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen wachsam bleiben, sonst werden die Partys und Pleiten weitergehen.

*  Marc Chesney, geboren 1959, ist Professor für Quantitative Finance an der Universität Zürich. Er vertritt einen kritischen Standpunkt gegenüber den Finanzmärkten und den Grossbanken. Er ist Autor verschiedener Artikel über die Gefahren, die mit der Grösse und Komplexität der Finanzsphäre verbunden sind. Marc Chesney ist Mitglied von Finance Watch.

Quelle: https://www.infosperber.ch/wirtschaft/konzerne/credit-suisse-eine-nachlese-zum-ende-der-party, 7. April 2023

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